Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
war.
Das Kind fing in seiner Wiege an zu jammern, und ich legte es ihr in den Arm. Anna sah mich dankbar an. Ich küsste beide auf die Stirn und ließ sie allein. Beim Hinausgehen hörte ich, wie Anna Klein-Isabel mit Koseworten überschüttete, und ich war mir ganz sicher, sie würde eine liebevolle Mutter sein. Und sie brauchte unsere Hilfe nicht mehr.
*
Karin hatte sich Isabels Schminke aus der Zukunft ausgeliehen und mit deren Hilfe ihre natürlichen Vorzüge dezent betont. Der kussechte Lippenstift in einem warmen roten Ton, machte ihren Mund zu einer wahren Versuchung. Jack hatte sie auf der Treppe erblickt und sie bewundernd angestarrt. Wollte sie etwa, dass Johannes schon in der Kutsche vorzeitig ejakulierte?
„Wie sehe ich aus? Sei ehrlich, du kennst ihn doch“, fragte sie unsicher und drehte sich vor ihm im Kreis.
Jack grinste und nickte anerkennend. Frauen hatten viel effektivere Waffen, musste er zugeben und fand es zugleich unfair.
„Der Mann hat keine Chance“, sagte er aufrichtig, und sie fiel ihm aufgeregt lachend um den Hals.
*
Es war eine unruhige Nacht. Draußen tobte ein Gewitter, und der Regen peitschte mit solcher Gewalt gegen die Fensterscheibe, dass ich jeden Moment mit Scherben rechnete. Im weißen Licht der aufzuckenden Blitze sah ich Jack ruhig atmend und entspannt neben mir liegen. Es war mir ein Rätsel, wie er schlafen konnte, während draußen die Hölle tobte. Ich lag nur im Halbschlaf, als ich plötzlich zwischen zwei Donnerschlägen ein kratzendes Geräusch wahrnahm. Nicht schon wieder Ratten, dachte ich und setzte mich abrupt auf. Durch das Rauschen des Blutes in meinen Ohren versuchte ich angestrengt etwas zu hören.
Es blieb alles still. Ich schlich aus dem Bett, griff nach meinem Feuerzeug und entzündete eine dicke Kerze.
Auf dem Boden war nichts zu sehen. Ich ging zur Tür, öffnete sie und schaute mutig hinaus. Es war, als würde ein dunkler Schatten durch den Flur sausen, und sämtliche Körperhärchen stellten sich mir auf. Hektisch schloss ich die Tür und verriegelte sie. Dann lief ich zum Bett, sprang hinein und rüttelte Jack, bis er endlich die Augen einen Spalt öffnete.
„Was ist los, Mama?“
Mama? Der Mann träumte von seiner Mama! Ich rüttelte ihn heftiger.
„Da draußen ist jemand, Jack. Bitte geh nachsehen.“
Alarmiert von meiner panischen Stimme, bewegte er sich endlich. Er stand auf, rieb sich mit der Hand übers Gesicht und holte sein Messer aus der Truhe. Schnell schlüpfte er in seine Hosen und band sie zu. Ich hatte mir bereits den Morgenmantel übergeworfen und lauschend mein Ohr an die Tür gedrückt. Es war noch immer alles still. Ich entriegelte die Tür.
Jack schob mich sanft beiseite, warf mir einen heroischen Blick zu und schlüpfte durch den Türspalt. Er glaubte mir kein Wort, aber spielte mir zuliebe den Helden. Ich öffnete die Tür weiter, damit das Licht der Kerze den Flur etwas erhellen konnte. Es donnerte grollend, und ich zuckte zusammen.
Ich sah Jack um die Ecke Richtung Treppe biegen und konnte es nicht ertragen, ihn völlig allein gegen vielleicht mehrere bewaffnete Einbrecher antreten zu lassen. Zwar hatte ich keine Waffe, doch zur Not würde ich um mich treten wie eine Wilde. Langsam schlich ich hinter ihm her.
„Halt, stehen bleiben!“, hörte ich Jack rufen.
Mir gefror das Blut in den Adern. Wahrscheinlich waren sie schon die Treppe hinaufgegangen. Anna! Hoffentlich war oben alles in Ordnung. Ich war eben am Treppenabsatz angekommen, als ein Kerl die Treppe hinuntergerast kam, an mir vorbeischoss und durch die offen stehende Vordertür ins Freie floh. Verdammt! Ich hatte nicht bemerkt, dass die Tür offen stand.
Jack raste, drei Stufen auf einmal nehmend, hinter dem Kerl her und stürzte in die Nacht.
„Sei vorsichtig!“, rief ich, doch er war schon verschwunden. Ich eilte zur Tür und sah die beiden über den Platz vor dem Haus rennen. Zuckende Blitze erhellten für Sekunden die gespenstische Szenerie. Jack trug keine Schuhe, und es regnete wie aus Kannen. Ein gewaltiger Donnerschlag ließ mich erneut zusammenfahren. Da ich Jack nicht helfen konnte, ging ich die Treppe hinauf, um nach Anna und Isabel zu sehen. Ich öffnete die Tür vorsichtig, doch sie knarrte leise, was Anna glücklicherweise nicht zu stören schien. Leise trat ich näher an die Wiege heran. Das Kind lag auf dem Bauch, die Arme neben seinem Kopf ausgestreckt, und schlief friedlich. Ich sah nach Anna. Sie lag wie
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