Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
Schwachsinn Befallener, dachte die Schwester. Mit ihren dreißig Jahren Schwesterndienst hatte sie schon so manchen Verwirrten gesehen. Gelassen sah sie zu, wie die Farbe aus Jacks Gesicht wich.
Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet. Und sie hatte es so überzeugend und prompt gesagt. Sie meinte es todernst. Eine Riesenschweinerei wollte man hier mit ihm abziehen.
„Ich hole das Riechsalz“, sagte sie und wollte davoneilen, aber Jack hielt sie am Arm fest.
„Nein. Holen Sie mir bitte eine Zeitung“, sagte er mit belegter Stimme.
Er konnte es nicht glauben und suchte nach einer für den Verstand greifbaren Bestätigung.
„Vielleicht hat der Arzt eine. Ich gehe nachsehen“, sagte die Schwester mit besorgtem Gesichtsausdruck. Den hat es aber böse erwischt, dachte sie.
Anstelle der Schwester kam der Arzt persönlich. Der Mann war mittelgroß, hatte einen kleinen Bauchansatz und trug einen ekelhaft verdreckten Leinenkittel. Sein Haar wurde schon etwas licht, und er machte auf Jack den Eindruck eines typischen Exemplars von Arzt, der bemitleidenswerte Kranke immer mit der idiotischen Frage nervt: Na, wie geht es uns denn heute?
„Junger Mann, Ihr wünscht die heutische Zeidung?“, fragte er und legte Jack das Blatt auf die Bettdecke. Jack nahm es mit der rechten Hand auf und las das Datum.
„1790“ stand dort eindeutig, und das war auch schon alles, was er lesen konnte. Was war das nur für eine seltsam verschnörkelte Schrift?
1790 also, doch das bewies noch gar nichts. Es könnte eine Attrappe aus einem Theaterfundus sein. Fieberhaft jagten sich seine Gedanken gegenseitig. Ein Komplott, ein Zeitsprung vielleicht oder alles nur Einbildung? Nein, sicher nur ein Täuschungsmanöver. Man wollte, dass er genau das glaubte. Aber für wie blöde hielt man ihn eigentlich? Vielleicht war er einer Bande von Grabräubern in die Quere gekommen, aber die würden sich sicher nicht so viel Mühe mit ihm machen. Wem könnte daran gelegen sein, dass er den Verstand verlor, außer seiner Ex-Freundin vielleicht?
„Mein Herr, bitte sagt mir doch, was Ihr beim Leese des Daddums erwattet habt“, sagte der Arzt betont langsam in diesem seltsamen Dialekt.
Diese Frage sorgte dafür, dass bei Jack alle Alarmglocken zu läuten begannen. Keine Einbildung, diese Bedrohung war völlig real. Der Arzt hielt ihn für verrückt, und wer weiß, was er mit ihm machen würde, wenn er ihn nicht von seinem gesunden Geisteszustand überzeugen konnte.
„Ich habe etwas die Orientierung verloren. Ich bin vor ein paar Tagen überfallen worden und wollte nun wissen, wie lange ich bewusstlos im Wald lag.“
Der Arzt runzelte die Stirn. Glaubte er ihm?
„Abber warum habt Ihr das Jahr wisse wolle?“, fragte er argwöhnisch.
Was war das nur für ein grässliches Deutsch? Mitspielen, dachte Jack, erst einmal mitspielen.
„Äh ... das war mir im Moment entfallen. Aber jetzt sehe ich wieder klar, vielen Dank, Doc“, sagte er und lächelte schwach.
„Eure Auge sinn völlisch in Ordnung, und isch heiße Hartmann“, sagte der Arzt verständnislos.
„Oh, ja, das war ... eine Metapher“, sagte er langsam nickend, mit aufeinander gepressten Lippen.
„Aha, nun gut. Euer Bein wird einische Zeit der Heilung benötische. Das Schienbein ist gebroche. Isch habe den Bruch gerischtet. Gut, dass Ihr ohne Bewusstsein wart, mein Herr.“
Er grinste. Jack nickte und dankte Gott für diesen Umstand.
„In sechs Wochen kann isch Eusch von der Schiene befreie. Aber sagt, wie ist Euer Name, und woher kommt Ihr? Könnt Ihr Eusch erinnern, wie Ihr zu Eurer Verletzung gekomme seid?“
„Mein Name ist Jack Rivers. Ich war unterwegs, wohin, weiß ich nicht mehr. Auch nicht, woher ich kam. Es tut mir leid.“
Entschuldigend zog er Mundwinkel und Schultern hoch.
„Das wird vergehen“, sagte der Arzt und klopfte ihm väterlich auf die Schulter. „Ihr habt wohl einen Schlag auf den Kopf bekomme“, vermutete er und deutete auf Jacks Kratzer über dem Auge. „Obwohl isch sonst an eurem Köpper keine Spuren eines Kampfes entdecken konnte.“ Er sah ihn herausfordernd an. „Konntet Ihr eusch net wehre? Groß und kräftisch, wie Ihr seid.“
„Da waren Männer.“ Jack tat so, als ob er angestrengt überlegte. „Sie stießen mich unsanft vom Pferd, und dabei habe ich mir wohl das Bein gebrochen. Dann bin ich ohnmächtig geworden.“
Er wusste, die Geschichte war nicht gut, aber der Mann schien sich damit zufrieden zu geben. Schließlich war er
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