Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schimmer der Vergangenheit (German Edition)

Schimmer der Vergangenheit (German Edition)

Titel: Schimmer der Vergangenheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fraser
Vom Netzwerk:
Arzt und kein Detektiv.
    „Das ist sehr bedauerlisch. Falls Ihr Anzeige erstadde wollt, schicke isch Eusch einen Bolizisten“, bot er hilfreich an.
    „Nein, danke. Ich denke, das macht wenig Sinn. Die sind längst über alle Berge.“
    Er unterstützte seine Worte durch eine lässig abwinkende Handbewegung.
    „Wie Ihr wünscht. Kann isch noch etwas für Eusch tun?“, fragte Doktor Hartmann, und sein Gesichtsausdruck hatte sich merklich entspannt. Er hatte genug Erklärungen bekommen.
    „Ja, danke. Wo ist denn die Toilette?“, sagte Jack und blickte den Arzt etwas verlegen an.
    Der Arzt war verwirrt. Zwar hatte er das französische Wort schon einmal irgendwo gehört, doch er hoffte in diesem Moment, dass er dessen Bedeutung noch richtig in Erinnerung hatte.
    „Oh, den Abtritt meint Ihr?“
    Jack runzelte die Stirn und sah den Arzt befremdet an. Dieses Wort hatte er noch nie gehört.
    „Ich muss einfach nur pinkeln“, sagte er verzweifelt.
    Ein verstehendes Leuchten ging über das Gesicht des Arztes, und er lächelte.
    „Ach so. Ich schicke Eusch die Schwester mit dem Dippe.“
    Er ging ohne ein weiteres Wort. Jack legte sich tief ausatmend in die Kissen zurück. Ein Dippe war sicher ein Nachttopf oder so etwas und besser als gar nichts. Scheinbar hatte er den Arzt überzeugen können. Erleichtert schloss er die Augen und beschloss, erst einmal richtig auszuschlafen und dann über alles nachzudenken. Er war ein bisschen eingenickt, als er die Schwester, ein Liedchen pfeifend, näher kommen hörte. Ah, der Dippe, dachte er.
    Noch bevor er es richtig begriff, fasste die Schwester routiniert unter sein Hemd und packte ihn energisch an seiner empfindlichsten Stelle. Erschreckt drehte er sich zur Seite.
    „Hey!“
    Aber sie ließ ihn nicht los.
    „Nehmen Sie ihre Finger weg“, sagte er und schlug ihr zur Bekräftigung auf die Hand, die ihn hartnäckig umschloss.
    „So weit kommt es noch! Ich mache das allein. Es sind nicht meine Arme, die gebrochen sind“, beschwerte er sich empört mit einem eisigen Blick.
    Die Schwester löste ihren Griff. Sie hatte kein Wort verstanden, denn er hatte vor Schreck Englisch gesprochen. Sein aufgeregtes Gebaren genügte ihr jedoch. Sie reichte ihm den Topf. Abwartend blieb sie mit den Händen auf den Hüften vor ihm stehen.
    „Dürfte ich das bitte ohne Zuschauer erledigen?“, fragte er ungeduldig, wobei er sich rechtzeitig auf die deutsche Sprache besann.
    Sie verzog beleidigt das Gesicht und ging hinaus, wobei sie etwas von Undankbarkeit murmelte, und schließlich habe sie noch andere Kranke zu betreuen. Manche fanden das vielleicht anregend, aber er würde sich auf keinen Fall noch einmal von diesem schmutzigen Mannweib anfassen lassen. Er wartete, bis sie aus der Tür war, um sich zu erleichtern.
     
    *
     
    Am nächsten Tag überraschte uns Anna mit der Nachricht, dass sie heute ihren Gatten von seiner Geschäftsreise zurückerwartete. Sie strahlte überglücklich. Endlich kam ihr geliebter Mann nach Hause.
    Anna schlug vor, wir sollten besser auf unserem Zimmer warten, bis sie ihn über die neuen Gäste informiert hatte. Wir hielten das ebenfalls für angebracht, denn ich rechnete mit einer heftigen Reaktion des Mannes. Wenn ich mir vorstellte, ich käme nach Hause und müsste feststellen, dass Robert in der Zwischenzeit vier fremden Männern Asyl gewährt hätte, dann hätte ich ihm mit Sicherheit eine Szene gemacht, die er so schnell nicht vergessen würde.
    Am Tumult im Haus erkannten wir schließlich, dass der Hausherr eingetroffen sein musste. Ich war sehr gespannt auf ihn. In meiner Vorstellung gaben sich die Männer dieser Zeit höflich und galant. Aber das war vielleicht nur das Bild, das einem schillernde Literaturverfilmungen vorgaukelten, und ich war gespannt, ob die Literaturvorlagen ihrem Ruf gerecht wurden.
    Doch mit Friedrich Göttmann hatten wir ein Musterexemplar vor uns. Seine runden blauen Augen blickten mich freundlich unter ein paar vorwitzigen dunkelbraunen Locken an. Seine Größe entsprach in etwa der meinen, und er trug einen schlichten Rock mit langen Schößen, eine schmal geschnittene, doch nicht hautenge Kniebundhose und lange Strümpfe. Das weiße Hemd war an den Ärmeln etwas schmutzig von der Reise. Das ernste Gesicht und sein gebieterischer Ton gegenüber seinem Dienstgesinde täuschten über sein noch junges Alter hinweg. Merkwürdigerweise hatte ich ihn mir wesentlich älter vorgestellt. Er erwies sich als durchaus galant und

Weitere Kostenlose Bücher