Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
höflich. Anna hatte uns bitten lassen, und so saßen wir nun bei Kaffee und Keksen im Speisezimmer. Friedrich hatte uns freundlich begrüßt und jede von uns unaufdringlich mit seinen Blicken abgetastet.
„Welch Glanz in meiner bescheidenen Hütte“, rief er bei unserem Anblick. „Edle Damen zu Gast zu haben, ist niemals eine Last!“, betonte er, als ich mich für unser Eindringen in seinem Hause entschuldigte.
Karin flüsterte mir in einem geeigneten Moment zu, dass Gastlichkeit zu dieser Zeit groß geschrieben wurde und es nicht ungewöhnlich war, dass Verwandte von weit her oft monatelange beherbergt wurden. Doch schließlich waren wir keine Verwandten, und ich blieb misstrauisch.
Er unterließ es, uns bezüglich unserer Herkunft zu befragen, und ich schloss daraus, dass Anna ihm alles berichtet hatte. Munter erzählte er uns von seiner Geschäftsreise in Sachen Wein. Eine ganze Ladung edler Flaschen sei zu ihm unterwegs. Ein Strahlen ging über sein Gesicht und verriet uns den Weinkenner. Normalerweise kam die Ladung per Schiff über den Main, doch es handelte sich diesmal um besondere Raritäten, und er wollte das Risiko eines Schiffsunglückes nicht eingehen. Da die Fuhre auf den schlammigen Straßen nur langsam vorankam, war er vorausgeritten.
Er plauderte mit uns, als seien wir alte Bekannte, und ich stellte erstaunt fest, dass er seiner Frau anscheinend blind vertraute, was ihre Menschenkenntnis betraf. Dann erkundigte er sich nach den neuesten Ereignissen, die in seiner Abwesenheit stattgefunden hatten. Anna versicherte, er habe nichts Außergewöhnliches verpasst. Außer, dass bald wieder ein neuer Unglücklicher im AWA eintreffen würde.
„Es ist ein junger Mann, den man vor den Toren der Stadt verletzt im Graben fand. Er spricht seltsam und war merkwürdig gekleidet. Ich sah nach ihm, und da sein gebrochenes Bein jetzt so weit versorgt ist, dass er an Stöcken gehen kann, werden sie ihn übermorgen aus dem Hospital entlassen. Der arme Mann kennt keine Seele in Frankfurt, und man wird ihm wohl Geld für die Weiterreise geben müssen.“
Sie seufzte mitfühlend. Der Mann tat mir leid, ein Ausländer ohne Mittel, der noch dazu das Pech hatte, verletzt zu sein. Sein Schicksal erinnerte mich an das unsrige und machte mir unsere ungewöhnliche Lage erneut bewusst.
„Sagt“, sagte Barbara vorsichtig, als wenn sie sich ihre Worte zunächst genau überlegen wollte, „was meint Ihr mit ,er sprach seltsam und war merkwürdig gekleidet’?“
Ihr Gesichtsausdruck war angespannt und zugleich hoffnungsvoll, und bei ihren Worten erhöhte sich mein Pulsschlag.
„Lasst mich überlegen“, entgegnete Anna, „er hörte sich wie ein Angelsachse an, doch diese Worte hörte ich noch nie zuvor. Wenn man ihn daran erinnert, spricht er Deutsch, und das recht gut. Er trug eine sehr enge lange, zerfetzte Hose. Sein ärmelloses Hemd lag hauteng an, als sei er längst herausgewachsen“, sagte sie und lächelte amüsiert bei der Erinnerung. „Weshalb fragt Ihr, sagt Euch das etwas, meine Damen?“
„Oh ja. Es könnte sich um unseren Pil... Cousin handeln“, korrigierte Barbara sich schnell. „Kennt Ihr seinen Namen?“
„Jack, er heißt Jack, glaube ich“, sagte Anna, und es traf mich wie ein Schlag ins Gesicht.
„Das ist er!“, rief ich erfreut, und die anderen lachten erleichtert auf.
Er spricht also auch Deutsch, der Schuft, dachte ich, doch ich merkte, dass ich die Serviette, die ich die ganze Zeit verkrampft in meiner rechten Hand gehalten hatte, erleichtert losließ. Er lebte noch! Dem Himmel sei Dank.
„Er wollte auch aus Frankreich fliehen“, sagte Anette geistesgegenwärtig, nachdem Anna unserer unverhohlenen Freude mit verständnislosem Blick begegnete. „Aber wir haben ihn aus den Augen verloren.“
„Dann solltet Ihr ihn gleich morgen Früh aufsuchen“, schlug Friedrich vor. „Er wird sich sicher freuen, Euch wohlbehalten wieder zu sehen.“
„Vielen Dank, Herr Göttmann, Ihr seid sehr gütig“, sagte ich und dachte mir, na warte, Jack, wenn ich dich erwische, dann hast du wirklich ein Krankenhaus nötig. Du bist an allem Schuld! Bis eben hatte ich völlig vergessen, mich darüber zu wundern, dass Jack ebenfalls in der Vergangenheit und noch dazu ganz in unserer Nähe gelandet war, doch schlagartig ging mir dieser Gedanke durch den Kopf. Im Dschungel hatten wir ihn nicht finden können, und nun war er auch hier. Ist er vor uns gekommen und lag bereits eine geraume Zeit
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