Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
Große Lastenaufzüge beluden die zerbrechlich anmutenden Schiffe, die sich von der Fracht fast erdrückt tief ins Wasser legten. Wir hatten einen guten Blick auf die einzige Mainbrücke. Auf dem Wasser wimmelte es von kleinen Booten und großen Schiffen, und es war mir ein Rätsel, warum sie nicht ständig zusammenstießen. Kein Wunder, dass Friedrich seinen kostbaren Wein lieber auf dem Landweg beförderte, obwohl dort die ständige Gefahr eines Überfalls drohte.
Pferde und Ochsenfuhrwerke wurden mit Fracht beladen, Kinder und Hunde tollten zwischen den arbeitenden Männern herum. Das Ufer war schlammig und ausgetreten, so dass man kaum einen Menschen mit sauberen Füßen sah. Buntes, lautes Leben beeindruckte uns in allen Blickwinkeln. Die lebendige Atmosphäre, die Geräusche, die Gerüche, all das hatten die Maler, deren zahlreiche Ölgemälde ich gesehen hatte, nicht auf die Leinwand bannen können. Zwei Männer auf Pferden diskutierten mit einem Schiffskapitän über eine Fracht, die wohl nicht ihren Erwartungen entsprach. Bei unserem Anblick grüßten sie alle drei höflich und setzten dann ihren lautstarken Disput fort. Wir gingen, über die galante Art der Männer lächelnd, weiter und beobachteten, wie Fischkutter ihren letzten Fang an Land brachten. Welch ein Fischreichtum! Innerhalb weniger Jahre unseres Jahrhunderts hatten es die Menschen fast geschafft, alles Lebendige in diesem Fluss zu töten!
Langsam näherten wir uns der Brücke. Sie verband den heutigen Stadtteil Sachsenhausen mit Frankfurt und war von daher eine wichtige Verkehrsverbindung. Beladene Pferdewagen und Kutschen ratterten über sie. Ich trat näher an eine große Steintafel, die an einem der Pfeiler befestigt war.
„Oh Gott!“
Auf ihr war ein ausgestreckter Arm dargestellt, in dessen Handgelenk eine Axt steckte. Wirkungsvoll hatte man das dick hervorquellende Blut dargestellt. Ich erschauerte. Barbara las die Inschrift vor:
„Wer dieser Brücke Freiheit bricht,
dem wird sein frevelnd Hand gericht.“
Ich schluckte. Barbara meinte, die Menschen auf der Brücke waren Überfällen schutzlos aufgeliefert, bedingt durch die Enge und dem Mangel an Fluchtmöglichkeiten. Daher war eine massive Bestrafung die beste Abschreckung für Diebe.
Wir beobachteten noch etwas länger das geschäftige Treiben und schlenderten dann langsam weiter. Als die Sonne hinter den Häusern zu versinken drohte, machten wir uns auf den Rückweg. Wir hatten keine Lampen dabei. Es gab zwar eine Straßenbeleuchtung, aber das fahle Licht reichte nicht bis auf den Boden. Man lief Gefahr, in allerlei Unrat zu treten.
Anna machte sich bereits Sorgen um uns, als wir schließlich, bewegt von den Eindrücken, nach Hause zurückkehrten. Leider konnten wir ihr nichts über Karins und Anettes Kampfsporttraining erzählen. An ihrer Seite hatte ich mich mitten im Frankfurt unserer Zeit auch noch spät in der Nacht sicher gefühlt. Anette wollte Anna dennoch beruhigen.
„Keine Sorge, ich weiß, wie man sich verteidigt.“
Anna zog zweifelnd eine Augenbraue hoch. Anette reichte ihr daraufhin die Hand. Die verblüffte Frau ergriff sie, und ehe sie sich versah, hatte Anette ihr den Arm auf den Rücken gedreht und sie völlig bewegungsunfähig gemacht.
„Das ist wirklich beeindruckend, wenn auch wenig damenhaft“, kicherte Anna, als Anette sie losließ. Sie ordnete mit den Fingern ihre Frisur, aus der sich einige Locken gelöst hatten. „Aber ich bezweifele, dass Ihr es mit einem gestandenen Mannsbild aufnehmen könnt.“
„Das dürft Ihr mir ruhig glauben“, sagte Anette überzeugt. „Es gibt da noch ganz andere Handgriffe, aber ich möchte Euch nicht wehtun.“
Ich nahm eine Bewegung an der Tür wahr. Friedrich betrat den Raum.
„Guten Abend, die Damen. Anna“, er nickte ihr kurz zu, „welch charmante Versammlung. Darf ich nach dem Anlass fragen?“
Anna berichtete aufgeregt, was Anette soeben mit ihr getan hatte. Er lachte auf, wobei er sich nach hinten bog.
„So, so, dennoch wage ich zu zweifeln. Eine zarte Frau kann gegen einen starken Mann wenig ausrichten.“
Unternehmungslustig baute er sich vor ihr auf, und der Anblick der beiden ließ durchaus Zweifel aufkommen. Anette war nur halb so breit wie er, schaute ihm jedoch entschlossen ins Gesicht.
„Ich würde es Euch gern beweisen“, sagte sie lächelnd, „aber ich möchte Euch nicht verletzen.“
Höflich bemühte er sich, seine Belustigung zu verbergen.
„Tut Euch keinen Zwang
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