Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
meinem geistigen Auge entstand mein modernes Bad mit Zentralheizung, Wasserspülung und dreilagigem Toilettenpapier. Die Göttmanns benutzten alte Zeitungen. Ich reinigte mich mit dem Anzeigenteil. Fröstelnd machten wir uns auf den Rückweg und registrierten leise beschäftigte Bedienstete in der Küche, die für einen angenehmen Kaffeeduft sorgten.
Das bereitgestellte Waschwasser war heiß, und ich wusch mich ausgiebig. Die Seife sah aus wie ein Stück Butter und roch nach Rosen. Der Duft strömte angenehm durch den Raum. Das Waschwasser mussten wir zu zweit benutzen, danach wechselte Lisa es aus. Sie war zu bequem, um viermal mit frischem Wasser die Treppe hinaufzusteigen. Wir nahmen das schweigend hin, froh, uns überhaupt waschen zu können.
Der Hausherr saß bereits beim Frühstück, als wir das Speisezimmer betraten. Sein Platz war selbstverständlich an der Stirnseite des Tisches. Er erhob sich und wies auf die Stühle rechts und links von ihm.
„Guten Morgen, meine Damen“, sagte er in glänzender Laune. „Ich bin bereits mit dem Frühstück fertig. Bitte nehmt Platz. Ich muss etwas arbeiten. Anna, ich bin im Kontor.“
Herr Göttmann lachte über mein verständnisloses Gesicht. „Möchtet Ihr es sehen? Dann folgt mir.“
Ich nickte interessiert und folgte Friedrich nach unten. Von der Einfahrt für die Pferdewagen aus führten zwei Türen in einen weiteren Teil des Hauses. Die linke Tür führte zu den Schlafräumen des Personals, und hinter der rechten verbarg sich das Kontor, wie mir Herr Göttmann erklärte. Vor der Tür blieb er stehen und ließ mir galant den Vortritt.
Das Kontor war sein Arbeitsplatz und seine Lebenswelt zugleich. Ich bestaunte einen Tisch, dessen Platte mit kostbaren Intarsien geschmückt war und den ein Zinnaschenbecher zierte. Ich sah einen Schrank mit nach Orten abgelegter Geschäftskorrespondenz, eine Uhr, ein düsteres Gemälde von einer Seeschlacht, Bücher über Geographie und Geschichte. Auf der Anrichte des Schrankes stand ein Teeservice bereit. Ein bunter Tupfer in dem ansonsten braun und schwarz gehaltenen Dekor. Das Zimmer hatte einen Kamin, so dass man selbst im Winter die Geschäfte bequem weiterführen konnte. Ich hatte den Eindruck, als befände ich mich wieder zu Hause und ginge durch das historische Museum in meinem Frankfurt. Seine Stimme holte mich in die Realität zurück.
„Jetzt habe ich viel zu arbeiten, wenn Ihr mich bitte entschuldigen wollt?“
„Ja, natürlich. Ich möchte keinesfalls stören“, sagte ich und kehrte nachdenklich zu meinem Frühstück zurück.
Was würde er dazu sagen, wenn er wüsste, dass er in meinen Augen in einem Museum lebte?
Als ich das Speisezimmer betrat hörte ich Anna sprechen.
„Ihr dürft gern Du zu mir sagen. Wir sind doch alle ungefähr im gleichen Alter, wozu die Förmlichkeit?“
Ihre Wangen schimmerten leicht gerötet. Noch mehr Vertraulichkeit, das geht aber schnell, dachte ich, und mein Gesichtsausdruck musste wieder einmal verräterisch gewesen sein.
„Ich weiß nicht, warum, aber ich fühle mich Euch so verbunden“, fügte sie hinzu.
Wir nickten, und Anette sprach aus, was wir alle dachten.
„Ja, wir fühlen uns auch sehr wohl bei Euch, äh, bei dir, liebe Anna.“
Betreten sahen wir uns an. Es sah so aus, als hätten wir ein Rätsel zu lösen. Warum trafen wir ausgerechnet auf diese Frau, und warum fand sie es ganz normal und vertraute uns derart?
Anna strahlte und rief Lisa herbei.
„Bitte reiche den Likör. Wir haben etwas zu feiern.“
„Aber Anna, so früh am Morgen?“, fragte ich und sah mich schon schwankend die Treppe hinuntergehen.
„Oh, nur einen kleinen Schluck zur Feier des Tages.“
Lisa verteilte kleine Gläschen und füllte sie mit einer rotgolden schimmernden Flüssigkeit. Wie immer huschte nicht das geringste Lächeln über das Gesicht des Mädchens. Anna behandelte ihre Dienstboten gut, und ich konnte mir nicht vorstellen, warum Lisa so mürrisch war. Ich suchte den Blickkontakt, als sie mein Glas füllte, und fuhr innerlich erschrocken zurück. In ihren jungen Augen lag Hass. Sie verachtete mich, wahrscheinlich sogar uns alle, aber warum nur? Irritiert starrte ich in meinen Likör.
Anna erhob ihr Glas, und wir prosteten ihr zu. Der Likör war süß, cremig und entschädigte mich ein bisschen für das Fehlen von Süßigkeiten, mit denen ich zu Hause immer meine Nerven beruhigte.
„So, nun geht und holt euren bedauernswerten Cousin“, sagte sie fröhlich.
Als
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