Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
hat auch den Kristall angefasst“, sagte Anette nun bereits das dritte Mal.
„Aber er hat doch überhaupt keinen Bezug zu Frankfurt!“
So leicht wollte ich mir meine schöne Theorie mit dem Ring und unserem Geburtsort nicht zerstören lassen. Anette spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, und ich hielt ihr hilfreich ein Handtuch entgegen.
„Wir haben doch in Wirklichkeit gar keine Ahnung von dem Mechanismus. Vielleicht braucht man gar keinen Bezugspunkt.“
Doch das erschien mir unlogisch. Warum sollte diese Maschine ausgerechnet auf dieses Jahrhundert und diese Stadt eingestellt sein? Was war so interessant hier? Oder so wichtig? Ja, vielleicht war es wichtig, dass wir hier waren. Ein neuer Aspekt.
„Genau das werden wir herausfinden“, prophezeite Anette, als ich ihr meine Gedanken mitteilte. Sie hakte sich bei mir unter und zog mich sanft zur Tür.
„Aber erst gehen wir den armen Jack besuchen. Er ist sicher genauso verwirrt wie wir. Schließlich ist er schon tagelang allein in diesem Hospital und hat keine Ahnung, was passiert ist und ob wir noch leben.“
Anna erklärte uns den Weg, denn sie hatte andere Arbeiten zu erledigen und wollte heute nicht ins Hospital gehen. Aufgeregt gingen wir auf Entdeckungsreise. Es war ein seltsames Gefühl, durch diese alten Gassen zu laufen ohne die Eindrücke, die zu Hause in 1980 noch dazukamen. Wir genossen unseren Spaziergang durch die Sonne und nahmen uns vor, danach an den Main zu gehen und uns die Handelsschiffe anzusehen. Friedrich Göttmann hatte uns empfohlen, einen Abstecher dorthin zu machen. Es sei sehr eindrucksvoll.
Der Arzt bestätigte uns, dass ein Jack Rivers sein Patient sei. Er bat um Schonung des Patienten, da dieser verwirrt sei und sich nicht erinnern könne, wie er in diese Gegend gekommen sei. Ich auch nicht, dachte ich seufzend.
Leider bekam nur eine von uns die Erlaubnis einzutreten. So viel Besuch auf einmal sei schlecht für den Patienten. Wir fingen an, uns Sorgen um ihn zu machen, war er so schlimm verletzt? Hatte die Notlandung bei ihm mehr Spuren hinterlassen als bei uns?
Das Knobelspiel, das wir hinter dem Rücken des Arztes veranstalteten, sorgte dafür, dass ich hineingehen durfte.
„Wir gehen so lange hier draußen spazieren“, sagte Anette.
„Grüß ihn von uns“, rief Barbara etwas enttäuscht hinter mir her. „Und sei nett zu ihm, er hat schließlich auch einiges durchgemacht“, ermahnte sie mich, denn sie kannte meine Wut auf ihn.
Ich nickte ihr beruhigend zu und folgte dem Arzt einen langen Gang entlang, an dessen Ende eine Tür offen stand. Aus einem der Räume drang das Jammern eines Kindes, und ich vernahm den Geruch nach Kampfer, Schweiß und etwas fremden Süßlichem, über dessen Ursprung ich lieber nicht weiter nachdenken wollte. Der Holzboden knarrte unter meinen Schritten, und ich erkannte hier und da Flecken, die von den Wunden der Patienten stammen mochten und vom unversiegelten Holz gierig aufgesogen worden waren. Ein Paradies für Bakterien aller Art. Ich schob den Gedanken fröstelnd beiseite.
„Bitte sehr, die Dame.“ Er deutete mit der Hand in Richtung Tür. „Und vergesst bitte net, dass er noch der Schonung bedarf.“
Lächelnd entfernte er sich, und ich sah ihm nach. So sah also ein Arzt im 18. Jahrhundert aus. Abgesehen von dem Blut auf seinem Kittel, den schwarzen Fingernägeln und dem durchdringenden Schweißgeruch, wirklich Vertrauen erweckend. Ich schwor, hier niemals krank zu werden.
Langsam betrat ich das Krankenzimmer, innerlich auf die primitivsten Zustände gefasst. An den Wänden waren Notbetten befestigt. Bestimmt für die nächste Pestwelle, befürchtete ich und erschauerte.
Ein Blick über den Fußboden beruhigte mich, denn er wirkte einigermaßen sauber. Auf der rechten Seite standen zwei Einzelbetten, wovon eins leer war. In dem anderen lag Jack und schien zu schlafen. Er war es tatsächlich, und mein Herz machte einen Luftsprung, symbolisierte er doch so etwas wie ein Stück Heimat.
Ich trat leise ans Bett heran und betrachtete ihn. Er hatte eine Kratzwunde über dem rechten Auge, die dabei war, zu einer schrägen rötlichen Narbe zu verheilen. Sein Bein war geschient. Damit hatte er sich ganz allein durch den Dschungel schlagen müssen. Mitleid überkam mich, und ich vergaß meine Wut. Er wirkte etwas albern in seinem Engelhemdchen, denn wegen der Wärme im Raum hatte er sich nicht zugedeckt. Das Hemd reichte ihm nur bis kurz über den Schritt, und entblößte
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