Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
blieb ich stehen und starrte ratlos an dem riesigen Holzaufbau hoch, der malerisch zwischen den Alleebäumen stand. Ich spürte Jacks Atem in meinem Nacken. Er war nur ganz leicht beschleunigt.
„Ist das eine kaputte Kinderschaukel?“
„Kinderschaukel? Nein, Isabel, ich fürchte, das ist etwas weniger Beschauliches.“
Ich sah mir das Ding genauer an, und plötzlich dämmerte mir ein Verdacht, der mir eine Gänsehaut verursachte.
„Das ist der Galgen“, sagte Jack.
Schweigend gingen wir nach Hause, und ich achtete zukünftig darauf, diesen Weg nicht wieder zu benutzen.
Zu Hause angekommen, machte sich Jack an die Arbeit, die Friedrich ihm aufgetragen hatte. Er verbrachte viele Stunden im Kontor und führte die Bücher für ihn. Anette half ihm, indem sie alle Belege vorlas, denn er konnte die altdeutsche Schrift nicht einmal erraten. Täglich kamen Waren an, und er sorgte dafür, dass die richtigen Kunden sie erhielten oder dass sie bei uns eingelagert wurden. Mitunter zogen wir Anna zu Rate, da sie sich vor ihrer Schwangerschaft in Friedrichs Abwesenheit selbst um die Geschäfte gekümmert hatte. Ihr Interesse hielt sich jedoch in Grenzen, und sie beteuerte immer wieder, dass Friedrich es ihr zuliebe so eingerichtet hatte, dass während seiner Reisen keine großartige Arbeit anfiel. Sie war zwar eine Kaufmannsfrau, doch richtig in das Geschäft eingearbeitet hatte er sie nie.
Ich hätte mich gern in diesem Bereich nützlich gemacht, aber ich wollte Jack nicht auf dumme Gedanken bringen, indem ich mich zu oft in seiner Nähe aufhielt. Manchmal beobachtete ich ihn verstohlen und spürte, wie sehr ich mich zu ihm hingezogen fühlte. Doch er wollte sich mir nicht öffnen, seine Gedanken nicht mit mir teilen, das hatte ich bei unserem Spaziergang deutlich gemerkt. Ich vermutete daher, dass auch er lediglich rein körperlich an mir interessiert war. Affären aufgrund körperlicher Attraktion konnten jedoch schnell in tiefere Beziehungen umschlagen, was ich nicht riskieren wollte, zumal Jack bereits ein guter Freund für mich war und die Gefahr des ernsthaften Verliebens durchaus bestand. Ich glaubte fest, wir würden wieder nach Hause kommen, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie. Aber dann würde mein Platz bei Robert sein und nicht bei einem Piloten, der als Aussteiger in Mexiko sein Brot verdiente.
Bisher hatte ich zwar nicht mehr von dem Indio geträumt, aber jedes Mal, wenn ich an dem Bild vorbeikam, war mir, als ob er in meiner Nähe wäre. Allein in meinem Bett versuchte ich oft mir sein Gesicht vorzustellen. Ich rief ihn innerlich herbei und dachte, er könne sich vielleicht telepathisch mit mir in Verbindung setzen. Seine tatsächliche Existenz war für mich inzwischen eine Tatsache. Er war ein Geist, wie ein Schatten aus der Vergangenheit, und er kannte die Lösung unseres Problems. Aber ich bekam keinen Kontakt, meine Gedanken schweiften ab, verloren sich in alltäglichen Dingen, und ich schlief jedes Mal darüber ein.
Jack hatte sich mit einem jungen Mann, einem Kunden Friedrichs, angefreundet. Die beiden gingen oft abends in ein Wirtshaus, und manchmal bekam ich am Rande mit, dass Jack danach stundenlang auf dem stillen Örtchen verschwand. Der junge Mann namens Johannes Meier lachte herzlich über Jacks Empfindlichkeit und führte es darauf zurück, dass er eben ein Engländer sei. Er gab ihm den guten Rat, seinem Körper auf keinen Fall auch noch eine Mahlzeit mit Sauerkraut zuzumuten. An diesem Tag zog der aromatische Geruch des gekochten Krautes durch das ganze Haus. Selbst ich hatte Schwierigkeiten damit, denn Maria kochte das Sauerkraut mit einer gehörigen Portion Schweineschmalz, und so viel Fett im Essen waren meine Innereien nicht gewohnt.
An diesem Vormittag wartete Johannes im Kontor geduldig auf Jacks Rückkehr von dem Ort, an den er sich eilig zurückgezogen hatte, und Karin und ich leisteten Johannes ein wenig Gesellschaft. Interessanterweise war Karin oft in der Nähe, wenn Johannes uns besuchte. Langsam dämmerte mir, das konnte kein Zufall sein.
„Jetzt mache ich mir aber doch Sorgen“, sagte Johannes. „So viel hat er doch gar nicht getrunken.“
„Warum musstet ihr auch schon am Vormittag damit anfangen“, entgegnete ich mit gespieltem Tadel.
Johannes lächelte. Er war ein gut aussehender Mann. Seine Größe schien mir ungewöhnlich für die Männer dieser Zeit. Das dunkelblonde schulterlange Haar mit leichten Naturwellen wirkte gepflegt, was hierzulande nicht auf
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