Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
ungeduldig und mit wachsender Beunruhigung auf Friedrichs Heimkehr. Er war nun seit rund zwei Wochen überfällig, und Anna fühlte sich nicht sehr gut, obwohl wir uns ausgiebig um sie kümmerten. Abends ging Anna früh zu Bett, und wir verbrachten unsere Zeit oft mit Kartenspielen. Im Rommee war Barbara unschlagbar. Jack überredete mich manchmal zu einer Schachpartie. Anna besaß ein wertvolles, aus Elfenbein geschnitztes Spiel. Ich war nicht sehr gut darin, und Jack freute sich wie ein kleiner Junge, wenn er mich nach drei Zügen matt setzte und ich immer wieder aufs Neue auf seine Tricks reinfiel.
Seit Friedrichs Abreisetag waren wir uns nicht mehr näher gekommen, und ich achtete darauf, dass es so blieb. Ich hatte mich innerlich intensiv mit unserer Heimkehr beschäftigt und mich bereits auf das Wiedersehen mit Robert eingestellt. Jacks Zuneigung wollte ich nicht aufs Spiel setzen, doch ich versuchte sie mir auf rein freundschaftlicher Basis zu erhalten. Wahrscheinlich verstand er mein Verhalten nicht, doch er verschonte mich mit lästigen Fragen oder heimlichen Annäherungsversuchen in dunklen Ecken. Ich rechnete es ihm sehr hoch an und glaubte, in ihm einen Freund gefunden zu haben, mit dem man durch dick und dünn, ja sogar durch die Zeit gehen konnte.
Jacks Bein war gut verheilt, und man hatte ihm die Schiene abgenommen. Heilfroh darüber, hatten wir das Ende seiner Behinderung mit einem guten Wein begossen.
Am nächsten Tag ging ich mit Jack spazieren. Aus Anstand trugen wir leichte Umhänge, doch es war ein für die Jahreszeit ungewöhnlich warmer Tag, und ich hätte am liebsten meine kurzen Jeans angezogen. Jack sah in seinem Umhang umwerfend aus, was ich ihm lieber nicht sagte, und auch er stöhnte über die Hitze, die darunter herrschte. Wir hatten das Stadttor hinter uns gelassen, als er plötzlich munter wurde.
„Ein herrliches Gefühl, ohne dieses Ding am Bein!“, rief er und tanzte fröhlich um mich herum wie ein Indianer um das Lagerfeuer.
Ich lachte und bot meinen Arm an, als er taumelte. Er zog mich an sich, und wir sahen uns an. Er war außer Atem, lächelte glücklich, und meine Knie bekamen einen akuten Schwächeanfall. Schnell blickte ich zum Himmel auf, um abzulenken.
„Sieh mal, strahlend blau. Ich staune immer wieder über das Fehlen von weißen Strichen und grollendem Flugzeuggeräusch.“
Als Frankfurterin konnte man mich durchaus als lärmgeschädigt bezeichnen. Jack folgte meinem Blick, hielt meine beiden Hände fest umschlossen und nickte.
„Die allgegenwärtige Stille hier ist mir auch schon aufgefallen. Ich habe eine Wohnung in Mexiko City, und das ist, als übernachtest du mitten auf dem Highway. Ich kann hier keine Nacht schlafen, weil mir die Geräusche fehlen. Verrückt, was?“
Sein Blick irritierte mich, ich löste mich von ihm und schlenderte weiter. Wir gingen um die Stadtmauer herum. Es gab eine schmale Allee, die oft von Spaziergängern genutzt wurde, doch wir waren sie noch nie bis zum Ende gegangen. Jack schloss zu mir auf.
„Wie kannst du es nur in dieser voll gestopften Metropole aushalten?“, fragte ich.
„Es soll ja nicht für immer sein, aber ich habe dort einen guten Freund, der mir die Wohnung besorgt hat, als ich ankam. Es war wie eine Flucht.“ Er schwieg einen Augenblick und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Eine Flucht vor meiner Familie“, setzte er leiser hinzu. In seiner scheinbaren Beiläufigkeit schwang ein bitterer Unterton.
Ich forschte in seinem Gesicht, denn vielleicht war ja etwas mehr aus ihm herauszubekommen, aber er hatte bereits wieder sein typisches Grinsen aufgelegt.
„Kannst du nicht ein Mal ernst bleiben?“, fragte ich gereizt.
Er blieb stehen und runzelte die Stirn.
„Tut mir leid, aber ich wusste nicht, dass dieser Ausflug einen tiefenpsychologischen Hintergrund hat“, sagte er genervt und auf Englisch.
Ärger kam in mir hoch, und mir fehlten fast die Worte.
„Du, du ... Mann!“ Ich lief schneller.
Er beschleunigte ebenfalls seinen Schritt, und ich begann zu rennen. Ich hörte ihn hinter mir lachen und rufen.
„Du hast keine Chance!“
Ich rannte, so schnell ich konnte und musste mir dabei die Röcke hochraffen, um nicht zu stolpern. Jack war dicht hinter mir, und ich wunderte mich, dass er so kurz nach dem Entfernen der Schiene schon wieder so gut zu Fuß war. Ich hatte wirklich keine Chance. Ich lief etwas langsamer und schaute mir ein seltsames Gebilde an, auf das ich zusteuerte. Außer Atem
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