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Schimmer (German Edition)

Schimmer (German Edition)

Titel: Schimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Law
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er …  
    Ich schluchzte heftiger, versuchte die schlimmsten Ängste wegzuschieben. Samson zwängte sich aus seinem Versteck unter dem Feldbett, die fast leere Chipstüte und die Würstchenverpackung schleifte er hinter sich her. Er setzte sich neben mich auf den Boden, bot mir wortlos die letzten salzigen Chipskrümel an und legte mir sanft eine Hand auf den Arm.  
    Ich weiß nicht, was mein schüchterner, schemenhafter Samson an sich hatte, aber wenn er mich berührte, ging es mir immer sofort besser. Hin und wieder, das wusste ich, kam es vor, dass jemand seinen Schimmer schon vor der Zeit bekam. Mommas Bruder, Onkel Autry, hatte fünfjährige Zwillingstöchter, die ihre Plastikpferdchen ein paar Zentimeter über dem Boden schweben lassen konnten, sie bewegten sie auf und ab wie Karussellpferde. Doch so etwas war sehr selten. Vielleicht lag es bei unseren Cousinen daran, dass sie Zwillinge waren und offenbar denselben Schimmer hatten.  
    Möglicherweise war Samsons stärkende Berührung nur ganz normale menschliche Magie, eine Magie, wie sie der echten, tief empfundenen Sorge eines Menschen für einen anderen innewohnt. Warum auch immer, als ich Samsons kleine Hand auf dem Arm spürte, dauerte es nicht lange, bis meine Tränen trockneten.  
    »Was denkt sich dieser halbgare Schwachkopf? Der sollte sich mal das Hirn untersuchen lassen«, sagte Rhonda auf Lesters linkem Arm. »Wie kann es sein, dass mein eigen Fleisch und Blut so eine Memme geworden ist?«   
    »Er sollte die kleinen Nervensägen am Straßenrand aussetzen, genau wie ich es mit dieser Töle gemacht habe, nachdem sie meine besten roten Schuhe aufgefressen hatte«, sagte Carlene auf Lesters rechtem Arm. »Stattdessen verbindet der Tölpel ihnen noch ihr Aua und tätschelt ihnen den Kopf.«   
    Ich wusste, dass ich nicht viel von Lesters Mom, Rhonda, hielt, und von Carlene hielt ich schon gar nichts. Aber Lester Swan musste die beiden einmal sehr gerngehabt haben, sonst hätte er sich wohl kaum ihre Namen auf die Haut tätowieren lassen. Ich dachte mir, dass er da zwei ganz schöne Schwergewichte mit sich herumschleppen musste. Ich kam hoch auf die Knie, spähte in der Dämmerung über die Sitze und Kisten hinweg zu Lester, der unter seinem Sitz kramte, wieder auftauchte und mit triumphierendem Blick einen verrosteten alten Metallkasten mit einem roten Kreuz darauf zutage förderte. Er reichte Bobbi den Verbandskasten, und sie schaute ihn an, als hätte Lester ihr eine tote Ratte überreicht.  
    »Was soll ich denn damit?«, fragte sie.  
    Lester druckste herum und zeigte auf den Verbandskasten. »Vielleicht könntest du dich um d-die Jungs kümmern, und ich könnte v-versuchen ein paar Scheiben abzudecken, damit wir w-weiterfahren können?«  
    »Ich kümmere mich nicht«, fauchte Bobbi fuchtig, die Lippen spöttisch verzogen. »Seh ich etwa aus wie eine Krankenschwester?«  
    »Nee, aber du siehst aus wie die Älteste«, sagte Lester mit einem halben schiefen Lächeln, doch seine Schultern zuckten schon wieder, diesmal hüpften sie fast hoch bis zu seinen Ohren. Er verschränkte die Arme und löste sie wieder, als wüsste er nicht so recht, in welcher Haltung er sich besser Respekt verschaffen konnte.  
    »Das ist alles Mibs’ Schuld. Soll die sich doch kümmern«, sagte Bobbi und gab Lester den Verbandskasten zurück.  
    Zuck. Zuck. Lester nahm den Kasten, schaute an den Sitzreihen entlang und fing meinen Blick auf, als ich über den hintersten Sitz spähte. Selbst im schwachen Licht der frühen Abenddämmerung erkannte ich den Blick eines Ertrinkenden. Ich ertrug es nicht, Carlenes und Rhondas Spott zu hören, während Lester unter Bobbis Überheblichkeit versank. Vielleicht war dies die Gelegenheit, Gott zu beweisen, was für ein guter Mensch ich sein konnte, dass ich seiner Beachtung würdig war, dass ich vielleicht etwas Besseres verdiente, als ich an meinem wichtigsten Tag bis jetzt bekommen hatte.  
    Lester sah mächtig dankbar aus, als ich aufstand und nach vorn in den Bus ging und mit einem Schluckauf und einem kläglichen, verlegenen Lächeln den Verbandskasten annahm. Schließlich hatte Bobbi Recht gehabt, als sie gesagt hatte, ich sei schuld an dieser Klemme. Wäre es nicht mein Geburtstag und hätte ich wegen dieses Geburtstags nicht gewisse Entscheidungen getroffen, wäre vielleicht alles ganz anders gekommen. Ich merkte gerade, dass das Ergebnis einer Entscheidung manchmal fast so schwer vorherzusagen und zu

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