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Schimmer (German Edition)

Schimmer (German Edition)

Titel: Schimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Law
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nicht sagen«, sagte ich schließlich zu Will.  
    Die Familienregel lautete: Halt den Mund. Niemand verrät etwas, es sei denn, er ist dazu gezwungen oder er heiratet und gründet eine Familie. Es ist immer besser, demjenigen, mit dem man sich zusammentut, zu erzählen, dass die Kinder, die man bekommen wird, womöglich die Fähigkeit entwickeln werden, durch Wände zu gehen oder auf dem Klavier des Nachbarn zu spielen, ohne es zu berühren.  
    Poppa war in der Navy gewesen und er war in Gulfport, Mississippi, stationiert, als er Momma auf einem Straßenfest zum Labor Day in der Nähe vom Strand kennenlernte. Momma war damals erst siebzehn, und sie war mit ihrer älteren Schwester Dinah ans Meer gefahren. Unsere Tante Dinah war nicht vollkommen wie Momma. Dafür konnte sie die Leute dazu bringen, das zu tun, was sie sagte. Auf ein Wort von Dinah hörten Babys auf zu weinen. Mürrische pubertierende Jungs rissen sich am Riemen und umarmten ihre Mütter. Selbst der stieseligste Stoffel schwang das Tanzbein, wenn Dinah ihn darum bat. Momma sagte, Dinah hätte sogar schon mal einen Bankräuber aufgehalten, sie hatte ihm einfach gesagt, er solle sich hinsetzen und ruhig warten, bis die Polizei käme. Wir alle hatten Tante Dinah furchtbar gern, aber wir waren sehr froh, dass sie nicht unsere Momma war.   
    An jenem Tag auf dem Straßenfest wusste Poppa noch nichts von Leuten mit einem Schimmer wie Momma und Dinah. Er und seine Navy-Kameraden waren auf Urlaub und amüsierten sich, sie stolzierten in ihrer Seemannsuniform herum und pfiffen den Mädchen hinterher. Aber kaum hatte Poppa Momma gesehen, war es um ihn geschehen, er sah sofort, dass sie ein vollkommenes Mädchen war.  
    Sie lernten sich beim Ringewerfen kennen. Momma wollte eigentlich gar nicht mitmachen, sie sagte zu Dinah, es sei unfair – sie wusste, dass sie jeden Ring mit vollkommener Sicherheit über einen wackelnden, zuckenden Stab werfen konnte, und sie hielt nichts davon, ihren Schimmer öffentlich vorzuführen. Dinah lachte und bestand darauf, dass Momma mitmachte – und damit war die Sache geritzt. Es dauerte nicht lange und Momma war von einer Menschenschar umringt, die zuschaute, wie Momma jedes Mal gewann – und in dieser Schar standen auch Poppa und seine Kameraden.  
    Nachdem Poppa zugesehen hatte, wie Momma fünfzehn Stäbe hintereinander getroffen hatte, zwängte er sich durch die Menge und machte sich direkt an Momma heran.  
    »Hör mal«, sagte Poppa ihr übermütig ins Ohr und rieb sich mit den Fingerknöcheln über das Kinn. »Wenn du den nächsten auch noch triffst, kaufe ich einen Ring und heirate dich.« Mit einem listigen Lächeln nahm Momma noch einen Ring und zielte ganz genau. Sie betrachtete den Stab und warf den Ring mit einer geschickten Drehung. Alle verstummten, als der schmale Metallreifen zu den Reihen ruckender, schwankender Stäbe flog … und sie knapp verfehlte, an die Stäbe klirrte und zu Boden fiel. Daneben, vollkommen.  
    Momma zog eine Augenbraue hoch und schaute Poppa mit einem entschuldigenden Achselzucken an, aber allzu bedauernd sah sie nicht aus. Dinah ließ ihren Schimmer spielen und sagte zu Poppa, er solle abhauen, aber Poppa lächelte nur. Poppa hatte noch nie so leicht aufgegeben, selbst wenn Tante Dinahs Wille im Weg war. Genau gesagt gab Poppa niemals auf, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, und das sagte er Momma auch ohne Umschweife.  
    An dem Tag, als Poppa Opa Bomba und Oma Dollop um ihren Segen für die Heirat mit Momma bat, erfuhr er auch, dass manche Leute nicht ganz so sind, wie man denkt. An dem Tag schuf Opa für Poppa und Momma zweieinhalb Hektar Land, auf dem sie ein Haus bauen konnten – ihre neuen Nachbarn schob er alle nach Osten und Westen –, und Oma Dollop fing dem jungen Paar ein Liebeslied in einem Glas ein, damit sie es bei jeder Gelegenheit hören konnten. Das Glas stand immer auf dem Kaminsims, und hin und wieder schraubten Momma und Poppa den Deckel los, und dann erfüllte das endlose Lied das Haus.  
    Von dem Lied bekam ich immer gute Laune, und in dem rosa Bus hätte ich es gern bei mir gehabt. Fish und Will schossen wütende Blicke hin und her wie einen Fußball, und ich fürchtete schon, sie würden ihren Zweikampf direkt wieder aufnehmen. Ich wollte Fish gerade sagen, er solle sich wieder hinsetzen, als Lester voll auf die Bremse stieg. Der große rosa Bibelbus stöhnte und bebte wie ein Wal, der am Schwanz gepackt wird, Fish

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