Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
Wesley das nächste Mädchen, und auch in den Folgejahren hat er damit nie ganz aufgehört. Ich hatte eigentlich nie wirklich etwas mit Jungs, also nie nüchtern, und auch nicht leicht angetrunken, sondern nur in völlig entrückten Momenten, an die ich mich auch nur verwaschen erinnern kann. Es sind eher gute Erinnerungen, muss ich sagen, ich bereue sie nicht, aber es sind keine Erinnerungen an Liebe, denke ich. Ich verliebe mich, wenn ich ehrlich bin, nur in einen bestimmten Typ von Frauen: in die mädchenhaften, schmalen, hellhäutigen, die gut angezogen sind und irgendwie wohlhabend aussehen. Und das, obwohl uns schon die Lehrer auf der Primary School geraten haben, dass wir nicht Äußerlichkeiten verfallen sollen, sondern realen Charakteren, unabhängig von class und race und gender. Insbesondere vor Anbruch der großen Ferien wurden unsere Lehrer nie müde, uns das zu raten.
Dass mich Frank nun die Straße hinunter verfolgt, ist sicher keine direkte Folge dieses Abends in der deutschen Biergaststätte. Aber wahrscheinlich ist er noch immer traurig, weil Wesley nicht so verliebt war wie er, weil Wesley ihm irgendwann sachlich hat sagen müssen, dass die beiden jetzt besser keinen Sex mehr haben sollten. Und jetzt gehe ich für Frank wohl als Wesley-Assoziationsbild die Straße hinunter. Vermutlich geht er sogar davon aus, dass ich Wesley gleich zu vielen schmalen Bieren treffe und wir wieder abgegriffene Geschichten aus dem Frühling erzählen. Ich beschleunige meine Schritte, ich möchte nicht, dass Frank erfährt, wo ich arbeite. Irgendwann werde ich so schnell, dass mein Gehen fast ein Joggen ist. Ich stelle mir vor, dass auch Frank immer schneller wird und dass er irgendwann zu laufen anfängt, dass er aus einer Art Sprint heraus meinen Oberarm anfassen und sichtlich gehetzt fragen wird, wie es mir geht und ob ich etwas von Wesley gehört habe. Wie ich darauf dann reagieren soll, ist mir völlig unklar. Die entgegenkommenden Passanten scheinen sich über meinen gehetzten Gang gar nicht zu wundern. Wenige Meter von der Agentur entfernt, drehe ich mich dann wirklich um: Frank ist nicht da. Er muss längst abgebogen sein. Vielleicht hat er auch schon gar nicht mehr mitbekommen, dass ich immer schneller wurde. Kurz komme ich mir fast ein wenig enttäuscht vor. Mein Puls schlägt hart, ich atme aus, ich öffne die Tür.
In der Küche steht Calvin Van Persy und rührt sich einen Eiskaffee an. Er nimmt viel Vanilleeis und nur wenig Espresso, und erst irritiert mich das, aber dann denke ich, dass ich mir vielleicht auch öfter mal etwas gönnen sollte. Calvin hebt das Eiskaffeeglas zum Gruß. Er wirkt fast euphorisch: »Wim Endersson sieht bedrückt aus. Eiskaffee?« Ich nicke. Er füllt etwas weniger Vanilleeis in mein Glas, dafür mehr Kaffee, er weiß, dass ich auf Kaffee gut arbeite. Er bietet mir einen Platz an dem Eichenholztisch seiner Großmutter an, er grinst und macht einladende Armbewegungen. Dann sitzen wir voreinander. »Probleme mit Carla?« Calvin kennt Carla, weil sie mich manchmal in der Agentur abgeholt hat. Ich sage: »Nein, wie kommst du denn auf die Idee?« Calvin zuckt mit den Schultern. »Ich habe nur überlegt, was los sein könnte. Du hast so tief liegende Augen irgendwie.«
»Ich glaube, ich habe schlecht geschlafen« , sage ich.
»Mattis Klark hat seine letzten beiden Stories geschickt. Hast du die schon gelesen?«
»Nein, das mache ich gleich.«
Da der Eiskaffee bereits wirkt, freuen mich Mattis Klarks Erzählungen, dabei passiert in ihnen nichts Besonderes, sie halten lediglich ihr Niveau, aber dieses Niveau ist sehr in Ordnung. Bevor ich die Geschichten auf orthografische Fehler durchsehe, öffne ich sieben ungelesene E-Mails. Eine ist von meiner Mutter:
›Lieber Wim. Ich wäre dir heute Nachmittag gerne eine größere Hilfe gewesen. Vertraue auf deine Endersson-Energie! Nur das Beste von deiner Mum. P.S.: Diese neue Pia heißt Karin.‹
Ich antworte ihr direkt: ›Liebe Mutter, du brauchst mir keine Hilfe zu sein. Es ist alles okay.‹ Im Anschluss versuche ich Karin zu googeln, doch ohne ihren Nachnamen zu kennen führt das zu nichts, zumal der O’Brian-Hotelturm dank der Marketingkonzeption meiner Mutter keine Internetpräsenz zeigt. Ich frage mich, wie oft ich diese Karin schon für Pia gehalten habe und ob Pia nun überhaupt besser aussieht als vor zwei Jahren. Ich schreibe meiner Mutter eine zweite Mail: ›Was ist aus Pia geworden?‹
Im Laufe des frühen Abends, als
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