Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
hat mir damals dazu gratuliert, dass ich mein erstes Buch, den sentimentalen Adoleszenzroman von Mattis Klark, erfolgreich an einen Verlag vermittelt hatte. Dann hat er mir Fotos von seiner neuen Freundin gezeigt. ›Eine relativ ansprechende Dame‹ , habe ich damals gedacht, aber nichts gesagt, sondern bloß warm genickt. Meinen Dad hat das sehr gefreut, dieses Nicken, und ich merkte, dass wir mittlerweile als zwei erwachsene Männer verschiedener Altersstufen im Kebabhaus voreinandersitzen konnten, sozusagen auf Augenhöhe, und diese Einsicht hat mich für einige Momente schrecklich traurig gemacht.
Ich denke nicht sehr häufig an meinen Dad, und dass ich nun ausgerechnet über das Thema Übelkeit auf ihn komme, halte ich für unangemessen. Noch am selben Abend kontaktiere ich ihn via Skype, vermutlich aus schlechtem Gewissen. An seinem Videobild erstaunt mich, dass er plötzlich einen richtigen Bart im Gesicht trägt. Ich freue mich darüber, denn so werde ich später vielleicht auch mal einen richtigen Bart tragen können, diese Behaarungsdinge vererben sich ja. »Wenn das mal keine Gedankenübertragung war. Ich hätte dich spätestens morgen angerufen!« , sagt mein Dad. Er erzählt, dass er im Laufe des Frühlings nach CobyCounty zurückkehren werde, mit seiner neuen Frau, der vierunddreißigjährigen Cassandra. Er habe ein Apartment auf dem zweiten ColemenHill gemietet. »Die Gespenster von ›CostaCostaCounty‹ sollten langsam verflogen sein« , sagt er in einem fast euphorischen Ton. Er ist kurz angebunden und legt schnell wieder auf, doch er grüßt herzlich durch die Kamera hindurch, mit einem erhobenen Daumen und seinem weißen Lächeln.
Ich frage mich, warum eigentlich alle älteren Menschen in meinem Umfeld diese Tendenz zu euphorischen Gesten haben, und ob ich auch mal so werde, wenn ich über fünfundfünfzig Jahre alt bin, so mitreißend und energetisch. Ich hoffe, so werde ich nie.
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Als mein Dad zweiundvierzig und meine Mutter neununddreißig war, kam ich als ihr erstes Kind zur Welt. Angeblich haben sie sich ihr Sozialleben von mir aber nicht einschränken lassen. Ich soll immer ein sehr enges Verhältnis zu meinen Babysittern gehabt haben, zu diesen freundlichen Kunststudenten, die aus dem damals noch preiswerten Industriegebiet zu uns rübergefahren kamen, um mit mir Filme zu schauen, während meine Eltern unterwegs waren und tranken. Die jungen Kunststudenten seien Neuzugezogene gewesen, so »wie einst auch dein Vater und ich« , erzählte meine Mutter letzten Sommer während eines Brunchs auf der Hoteldachterrasse. An jenem Vormittag war ich wieder in meine naive Melancholie hineingeraten und hatte von ihr erfahren wollen, ob meine Geburt ihr Leben und das Leben meines Dads eigentlich sehr zum Negativen beeinflusst hat: »Als Mutter war ich über Jahre hormonell so gesteuert, dass ich das neue Leben mit Kind nie maßgeblich in Frage gestellt habe. Wie es bei deinem Vater war, kann ich nicht sagen. Er hat mich irgendwann gemieden, spätestens seit ›CostaCostaCounty‹ der Misserfolg wurde, den ich ihm schon nach der ersten Drehbuchfassung prophezeit hatte« , antwortete sie und ließ sich ein zweites Glas frisch gepressten Orangensaft servieren. Ich empfand einen zweiten Saft immer als einen Saft zu viel. Meine Mutter trug eine Sonnenbrille mit leicht durchsichtigen Gläsern und ich hatte den Eindruck, dass sie nur selten blinzelte. Komischerweise erinnere ich mich erstaunlich genau an diesen Vormittag auf der Dachterrasse, dabei ist dort eigentlich nicht wirklich etwas vorgefallen. Ich saß nur so da, meiner sonnenbebrillten Mutter gegenüber, vor einem Teller mit Brot, Konfitüre und Birnenscheiben, und sie klang etwas hart, als sie kurz vor ihrem zweiten Glas Orangensaft meinen Dad erwähnte. Das war eigentlich alles. Aber ich glaube, ich erinnere mich oft an Sachen, die nicht wichtig waren. Später an diesem Tag bin ich mit Wesley im Meer schwimmen gegangen, aber das weiß ich nicht sicher, das kann auch an einem anderen Tag gewesen sein.
Meistens, wenn mich etwas bedrückt, lese ich die E-Mails, die Carla und ich uns geschrieben haben, bevor wir ein Paar wurden. Wir haben uns mit diesen Texten damals sehr viel Mühe gegeben, und ich habe Carla für ein großes Schreibtalent gehalten. Sie beschrieb mir ihren Alltag und ich beschrieb ihr meinen Alltag, wir haben alles immer etwas überhöht dargestellt und von Details auf große Zusammenhänge geschlossen. Heute kommunizieren
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