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Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Titel: Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Randt
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»Was ist los?«
    »Ich mache mir manchmal Gedanken« , sagt sie. Ich schaue bewusst in eine andere Richtung, als sie das sagt, weil es mir vorkommt, als wollte mich Carla zu etwas herausfordern, auf das ich gar keine Lust habe. Mit einem Mal verhalten wir uns wie ein Paar aus einer Erzählung von Maren August. Maren August ist das Autorinnenpseudonym von Kevin Lulay, der ein Klient von uns ist. Ich kann seine leisen, zwischenmenschlich dramatischen Erzählungen, die er als Maren August schreibt, oft kaum ertragen. Sie sind voller Konflikte, wie man sie aus seiner Alltagswelt kennt, voll kleiner Unstimmigkeiten zwischen gutaussehenden Freunden und Paaren, und alles ist nachvollziehbar und schwierig und mich nervt das, aber viele Mädchen lesen so etwas sehr gerne. Ich weiß von Kevin, dass er sich dieses weibliche Pseudonym gesucht hat, um noch reicher zu werden. Natürlich sagt er das in dieser Härte nur, um dabei leicht zynisch und cool zu wirken. Denn in Wahrheit mag er seine Maren-August-Geschichten wahrscheinlich sehr, zumindest weiß er ihre Stimmung problemlos zu reproduzieren, und das gibt ihm sicher ein Gefühl von Souveränität und Stärke.
    Carla mag Texte von Maren August eigentlich auch nicht, doch nun verhält sie sich selbst wie eine dieser Hauptfiguren, nämlich sentimental aufgeladen und insgeheim labil. Ich stehe von der Bank auf und werfe meine leere Croissanttüte in den bronzefarbenen Abfalleimer, der an der Holzhütte angebracht ist. Als ich zurück zur Bank gehe, schaut Carla in den Himmel, was ich wiederum als ziemlich albern empfinde. Ich berühre sie an ihrer linken Schulter und sage: »Ist dir langweilig, Carla? Suchst du das kleine Drama?« Ihr Blick streift mich kurz, dann schüttelt sie den Kopf.
    »Wann bist du eigentlich so geworden, wie du bist?« , fragt sie einen Moment später und ich lasse sie los. Das ist eine Frage, wie sie ebenfalls in einem Text von Maren August vorkommen könnte, in einem der besseren. Ich antworte mit bewusst sonorer Stimme: »Das weißt du doch. Du kennst mich relativ gut.« Carla hebt die Schultern. Der Wind, der nun aufzieht, erscheint mir überflüssig, und um der Situation einen Bogen zu geben, sage ich etwas, das sich wieder auf unsere Croissants bezieht: »Kann es sein, dass uns der Verdauungsprozess gerade etwas schwermütig macht?«
    Als ich dann allein zu Hause auf meiner ein Meter vierzig breiten Matratze liege, denke ich tatsächlich über unsere Beziehung nach. Ich denke: ›Wir waren schon einmal passionierter miteinander.‹ Das Wort ›passioniert‹ gefällt mir, und als ich es in Gedanken ausforme, flackern ein paar erotische Bilder vorbei: unsere vierundzwanzig- und dreiundzwanzigjährigen, problemzonenfreien Silhouetten, so als wäre das schon lange her und als hätte sich an unseren Silhouetten irgendetwas zum Schlechteren gewandelt. Dabei haben wir in Wahrheit jetzt flachere Bäuche als damals, weil wir mehr auf uns achten, und unser Sex sieht jetzt sicher dynamischer aus, weil wir weniger gehemmt sind und weil der ruppige Sex vom Anfang ja nie ganz ehrlich gemeint war. Ich überlege, Carla eine E-Mail zu schreiben, die sich mit ihrer Frage befasst: Wie bin ich zu dem geworden, der ich gerade bin? Mein Plan ist es, der Frage formal auf den Grund zu gehen, ganz vorne zu beginnen:
    Ich wurde an einem achtundzwanzigsten September geboren, es soll ein goldener Nachmittag gewesen sein, gegen siebzehn Uhr. Meine Mutter erinnert sich an eine Außentemperatur von ungefähr zweiundzwanzig Grad, an eine tief stehende Sonne, und natürlich an den Obstkorb, den ihr das Krankenhaus geschenkt hat, an diesen Korb voller Äpfel und Trauben und Mandarinen. Solche Obstkörbe werden schon lange nicht mehr verschenkt, weder an Economy- noch an Privatpatienten, sie wurden nur drei Jahre lang überreicht, an die Eltern der Kinder, die jetzt zwischen vierundzwanzig und siebenundzwanzig Jahre alt sind. Wesley hat einmal behauptet, dass man es unserer Altersgruppe für immer anmerken wird, dass wir die Obstkorbkinder waren.
    Außerdem erinnert sich meine Mutter an die Fahrt vom Krankenhaus nach Hause. Sie saß mit mir auf dem Rücksitz der Limousine meines Dads, der zu diesem Zeitpunkt bereits seinen größten Erfolg ins Kino gebracht hatte, die Komödie ›Mister Cheerleader‹ . Auf dieser ersten Autofahrt durch CobyCounty hat meine Mutter mir damals angeblich schon vieles erklärt und durch die Seitenscheiben auf Dinge gedeutet, obwohl sie natürlich

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