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Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Titel: Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Randt
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wirkt eher freundlich als spontan. Er möchte keine Details hören, was ich total angenehm finde, sondern wartet stattdessen mit einem allgemeinen Statement auf:
    »Wim, du wirst in diesem Jahr sechsundzwanzig.«
    »Nein, ich werde schon siebenundzwanzig.«
    »Wie auch immer … Du hattest diese Beziehung jetzt zwei Jahre? Und es war doch sicher eine tolle Zeit. Was willst du mehr? Du lebst in CobyCounty und der Frühling bricht an … es kann dir doch eigentlich gar nicht besser gehen!«
    Tom O’Brian steht in seinem Feinkordjackett vor mir und hält einen Sechserpack Gingerbeerdosen in der Hand. Als er mit dem Sprechen fertig ist, zwinkert er mir zu. Ich bin kurz unsicher, ob mich seine Aussage sauer macht oder ob sie mich freut. Er sagt mir ja nichts Neues, aber er sagt es doch aus einer Selbstverständlichkeit und Lebenserfahrung heraus, die mir in diesem Moment, vor dem Joghurtregal stehend, durchaus imponiert. Ich greife nach einer Packung Milch und sage:
    »Ja, du hast natürlich recht. Eigentlich mache ich gerade auch eher so eine Art Urlaub, als dass ich ernsthaft trauern würde.«
    »Na bitte. Willst du auch zur Kasse?«
    »Nein, ich brauche noch ein paar Sachen.«
    »Okay. Dann sehen wir uns bald. Zu deinem Klassentreffen? Aber komm ruhig schon mal früher vorbei. Am Dienstag checkt ein Schwung Kopenhagener Grafikdesignerinnen bei uns ein …«
    Zum Abschied klatschen wir uns weit oben in der Luft ab. Ich stelle für diese Geste extra meinen Einkaufskorb und die Milchpackung auf den Boden neben uns. Unsere Verabschiedung sieht sicher etwas skurril aus und unsere Handflächen knallen laut aufeinander, doch in diesem Supermarkt dreht sich keiner zu uns um.

8 ↵
    Eine elektronische Stimme meldet sich und verweist darauf, dass es keine Mailbox gibt, trotzdem folgt dann der übliche Signalton. Eine Zeitlang wurden sehr viele Mobiltelefone mit dieser Mailboxansage bespielt, ich habe sie in keiner Phase leiden können. Ich hinterlasse also auch keine Nachricht, zumal ich weiß, dass Wesley seine Nachrichten niemals abhört. Aber ich weiß auch, dass er die SMS, die er erhält, zumindest in Form einer kurzen Vibration registriert und meist sogar liest, wenn auch nur selten beantwortet. Ich schreibe:
    ›Ich finde, du warst jetzt lange genug unterwegs. Du solltest am Sonntag auf das Opening am Airport kommen. Das wird sicher nett.‹
    Während die Nachricht über das mobile Funknetz raus an Wesley geht, denke ich darüber nach, dass in unseren Dialogen das Adjektiv ›nett‹ noch nie eine Rolle gespielt hat. Wesley wird dieses Adjektiv sicher befremden, so wie ihn wahrscheinlich auch das Wort ›Junge‹ befremdet hat, das in meiner E-Mail stand, die bislang unbeantwortet blieb.
    Mattis Klark kommt nie in die Agentur, sondern besteht darauf, dass ich ihn besuche. Er lebt in einer schmalen Doppelhaushälfte weit draußen, jenseits des Stadtzentrums, alleine mit seinem Sohn. Die Mutter ist irgendwann ins Industriegebiet gezogen, wahrscheinlich, um ihre verpasste Jugend nachzuholen, Mattis erzählt nicht viel von ihr. Die Geschichten in seinem neuen Buch spielen an einer Highschool in Minnesota, obwohl ich sicher bin, dass Mattis noch nie in Minnesota gewesen ist, und soweit ich weiß auch noch nie in den USA. Wenn ich mir Bilder von Minnesota ansehe und diese mit den Beschreibungen in seinen Geschichten vergleiche, finde ich keine Übereinstimmungen, aber das gefällt mir. Mattis Klark schreibt über sein eigenes Minnesota, das eigentlich nichts mit der Realität, aber sehr viel mit seinen persönlichen Wünschen zu tun hat, so viel, dass es fast ein bisschen peinlich ist. Seine Hauptfigur ist wie er selbst schon Mitte dreißig, ein hagerer, manisch-depressiver Lehrer, der Ethik und Sport unterrichtet.
    Ich nehme den doppelstöckigen Linienbus, der direkt vor der Agentur hält. Als ich einsteige, ist der Himmel hellblau und die Sonne sticht. Ich kenne den Fahrer, wir grüßen uns herzlich, dabei haben wir noch nie miteinander geredet. Der Fahrer trägt einen gepflegten Vollbart, seine Zähne blitzen weiß hervor, und seine Augen strahlen, als begeisterte er sich für die ganz kleinen Sachen auf der Welt. Doppelstöckige Linienbusse wie diesen hat es in CobyCounty von Anfang an gegeben, bereits als Shuttle für die Mitarbeiter von Colemen&Aura, zwischen Industriegebiet und Wohncampus. Der Wohncampus soll damals auf den ColemenHills gestanden haben, auf diesem heute so teuer gewordenen Areal, das immer weiter mit

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