Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
abnimmt, und Mattis muss deshalb kurz lachen.
Keine zehn Minuten später sitzen wir mit scharfen Drinks im Garten. Mattis ist ein Liebhaber von gutem Gin und großen Eiswürfeln, er ist etwas kitschig in seinem Trinkverhalten, vielleicht weil er schon vor über zwölf Jahren Vater geworden ist. Ich fühle mich wohl in seinem Garten, auf diesen leicht maroden Stühlen mit dem exquisiten Gin in der Hand. Der Rasen wurde scheinbar lange nicht gemäht, unsere Schuhe verschwinden darin. Als Max von seinem Basketballtraining nach Hause kommt, merkt er sofort, dass sein Vater angetrunken ist. Er weiß damit umzugehen. Er grüßt kurz und geht dann gleich ins Haus. Ich habe den Eindruck, dass mich Max eher nicht cool findet. Während sein Vater aussieht wie einer, der vielleicht mal ein guter Surfer war, sehe ich aus wie einer, der sich nie für Surfen interessiert hat, der aber trotzdem gern neben Surfertypen auf Gartenmöbeln sitzt. Auf dem Weg in sein Zimmer greift Max in die Keksschale. Mattis bietet mir eine Zigarette an, die ich ablehne. In diesem Moment glaube ich, dass Mattis ein Typ ist, der pathetisch um Sportplätze joggt und dabei an seine Exfrauen denkt. Einer, der die warme Tragik eines schnell dahineilenden Lebens genießt. Einer, der sich gerne schweigend in der Sonne aufhält und jedes Mal annimmt, dass ihm Leute dabei zusehen. Ich trinke das zweite Glas Gin zügig leer. Mattis raucht und schweigt. »Hey Mattis« , sage ich und merke, dass ich auch schon recht angetrunken bin, »ich glaube, ich versuche eine Art Stereotyp in dir zu erkennen. Ein Stereotyp, das mir irgendwie gefällt.« Mattis bläst Rauch in seinen Garten: »Ich weiß. Und das ist doch super.« Dann sitzt er lächelnd da. Einerseits bin ich total überrascht von seiner Antwort, andererseits überhaupt nicht: Mattis ist ein schlauer Kopf. Gut möglich, dass selbst die Kekse in der nussbraunen Holzschale eine bewusste Entscheidung sind. Überhaupt ist sehr vieles möglich und überhaupt bin ich noch relativ jung. Aber das sind Gedanken, die sich immer einstellen, wenn ich anfange betrunken zu sein. Vorübergehend kommt mir die Welt dann komplex und magisch vor. Ich sage zu Mattis: »Dein Gin macht einen guten Rausch.« Er nickt. Später fragt er: »Hast du Lust, tanzen zu gehen?«
Weil Mattis darauf besteht, fahren wir nicht ins Industriegebiet oder auf die Promenade, sondern bleiben in seinem engen Vorstadtbezirk. Die Tanzlokale in solchen Bezirken werden vorwiegend von Leuten besucht, die entweder noch nicht volljährig oder schon älter als siebenundzwanzig sind. Nur nicht von Leuten wie mir. Mattis sagt: »Du bist der Junggebliebene und ich der Frühaltgewordene!«
Wir betreten einen holzverkleideten Kellerraum, die Besucher drängen sich um eine Gruppe von Live-Musikern. Die Musiker sind alle männlich, sie tragen schwarze Anzughemden und haben ihre Hände auf den breiten Klaviaturen ziemlich großer Keyboards abgelegt. Es scheint sich um eine Band zu handeln, die ausschließlich aus Keyboardern besteht. Im Publikum sehe ich Frauen, die mit ihren blonden Locken und den einfarbigen Strickpullovern wie junge Mütter aussehen. Ich bestelle für Mattis und mich neuen Gin. An der Bar wartend, kann ich gar nicht anders, als mich von der langsamen Keyboardmusik ernsthaft berühren zu lassen. Bei einigen Melodien muss ich an Coming-of-Age-Filme denken, die mich früher extrem gepackt haben und die mich, wenn ich ehrlich bin, eigentlich auch heute noch extrem packen. Phasenweise stellt sich aufgrund der Musik eine Gänsehaut auf meinen Unterarmen ein, zum Beispiel wenn im Publikum bereits bei den ersten Akkorden eines Liedes gejubelt wird. Ich denke: ›Diese Leute aus den Vorstadtbezirken kennen ihre Bands und lieben sie.‹
Als ich die beiden Ginmixgetränke entgegennehme, sehe ich, wie Mattis mit einer der blond gelockten Frauen spricht. Sie scheint ihn interessant zu finden. Wahrscheinlich weil er aussieht wie einer, der früher mal ein guter Surfer war. Er nimmt seinen Gin entgegen und stellt mir die Person umgehend vor: »Das ist Annabelle. Mit Annabelle bin ich zur Schule gegangen. Sie war das Mädchen, hinter dem alle her waren.« Annabelle scheint auch ziemlich betrunken zu sein, denn noch bevor sie mir die Hand gibt, sagt sie: »Aber ich bin bis siebenundzwanzig Jungfrau geblieben!« Ich bin zwar sicher, dass die Aussage ihr voller Ernst war, aber lächle so, als könnte ich sie als Witz verstanden haben. Als sie gleich
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