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Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Titel: Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Randt
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Pizza?« , fragt Tom O’Brian und schaut mich durch den Rückspiegel an. Er hat vermutlich nicht mitbekommen, dass ich eine SMS erhalten habe. Ich sage: »Ja, auf jeden Fall.«
    Also stoppt Tom seinen Van vor einem rot angestrichenen Pizzahaus. Hier gibt es keine Terrasse, der Plan scheint über den Haufen geworfen, manchmal entscheiden meine Eltern recht impulsiv. Erst überlege ich, im Wagen zu bleiben, weil es dort kühler ist. Aber dann möchte ich mir doch die Beine vertreten. Ich bitte meine Mutter, mir eine Rucolapizza mitzubringen, size medium , mit Cocktailtomaten. Der Parkplatz ist prall von Sonne beschienen und ich habe das Gefühl, dass mich das Licht innerhalb kürzester Zeit rot einfärben könnte, obwohl es noch nicht einmal Frühling ist. Doch augenblicklich ist mir das egal. Ich laufe etwas auf und ab und lese Carlas Shortmessage in Gedanken viele Male. Ich habe sie sofort auswendig gelernt.
    »Warum weinst du?« , fragt ein Junge, der gefühlte elf Jahre alt ist und aussieht, als ginge er gerade zu seinem Basketballtraining. Ich unterdrücke mein Schluchzen nicht, ich antworte: »Wahrscheinlich, um vor mir selbst ein leicht dramatisches Bild abzugeben. Um angemessen zu reagieren.« Der Junge schaut mich für Momente aus seinem türkis gestreiften Trikot heraus an. Er ist sicher ein großartiger Junge, der eine Sportler- oder Intellektuellenkarriere vor sich hat, und ich glaube, dass er mich intuitiv versteht. Als er wortlos weitergeht, formuliere ich in Gedanken eine lange E-Mail an Carla, einen anrührenden, mächtigen Text, der sie vielleicht noch einmal zum Nachdenken bringen würde. Ich habe aber nicht vor, diese E-Mail jemals zu schreiben, sondern tippe stattdessen eine Shortmessage, etwas gehetzt sogar, um sie noch abschicken zu können, bevor Tom und meine Mutter mit den Pizzakartons zurückkehren. Ich tippe:
    ›Ich nehme deine Entscheidung zur Kenntnis und bereite mich jetzt ebenfalls auf einen neuen Abschnitt vor. Alles Gute.‹
    Der Innenraum des Vans wird sofort vom Geruch der Pizzaschachteln dominiert: geschmolzener Käse und Chiliöl und eventuell Schinken. Ich bin nicht sicher, ob ich Schinken wirklich am Geruch erkenne oder bloß am Kontext. In diesen positiven Dunst hinein schlägt Tom O’Brian vor, sich doch lieber zu Hause amerikanische Komödien im Pay-TV anzuschauen, anstatt sich auf eine Restaurantterrasse zu setzen. Das Wetter bliebe nun ja monatelang gut genug. Meine Mutter ist begeistert. Ich kann die Idee der beiden gut verstehen, doch ich behaupte, bis morgen noch ein ganzes Manuskript lesen zu müssen. Sie finden das schade, aber akzeptieren es, und Tom lässt mich an der Verkehrsinsel aussteigen. Meine Mutter wünscht mir einen ›produktiven Leseabend‹ , doch sie meint diese Formulierung natürlich nicht ernst, sondern in einem übertragenen, leicht selbstironischen Sinne.
    Weil ich annehme, dass ich energie- und kraftlos bin, warte ich schweigend auf den Hauslift. Als sich die Tür öffnet, sehe ich mich im Spiegel und komme mir breiter und aufgedunsener vor als noch am Morgen. Ich stehe nun also in meinen Frühjahrstextilien da, in dieser ziemlich kurzen Hose und dem weißen Poloshirt, fahre mit dem Lift in den dritten Stock und halte eine Pizzaschachtel auf dem Arm. Seit Carlas SMS sind erst fünfzig Minuten vergangen, doch ich stehe nicht mehr unter Schock und empfinde auch keine Trauer. Viel eher ist es eine leicht abgestandene Melancholie, die ich jetzt fast dankbar in Empfang nehme.
    In der Wohnung schalte ich den Fernseher ein. Es ist, als würde ich das Gerät zum ersten Mal seit Jahren einschalten, dabei habe ich vor vier Tagen doch die aktuelle Folge von ›College Ohio‹ angeschaut, wie auch in allen anderen Wochen davor. Auf Programmplatz eins läuft eine altmodisch moderierte Sportsendung, mit Studiogästen und Beiträgen zu internationalem Fußball. Ich setze mich auf mein Bett und drehe den Ton lauter. Früher habe ich keine einzige Ausgabe dieser Sportsendung verpasst. Ich versuche so zu tun, als wären die Zutaten auf der Pizza alt und der Teig längst aufgeweicht. Doch ich muss einsehen, dass der Käse aromatisch, der Rucola frisch und der Teig knusperdünn ist. Die Wahrheit: Ich esse eine phänomenal gute Pizza und bekomme fantastische Spielzüge von den besten Vereinsmannschaften der Welt präsentiert. Das Bild auf meinem TV-Schirm ist hochauflösend, und durch die geöffnete Balkontür weht ein milder Wind. Letztlich bleibt mir ja auch gar

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