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Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)

Titel: Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Randt
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im Haus meiner Mutter statt. Meine Mutter war verreist und im Laufe der Nacht haben sich meine Gäste dazu entschlossen, die Dosen mit der Linsensuppe zu erhitzen. Wir aßen dazu geräucherte Würste, und das war damals, als sich fast jeder vegetarisch ernährte, eine Art Selbstversuch.
    Da ich ja indirekt Gastgeber des Abends bin, muss ich als Erster im Konferenzraum bereitstehen. Der Linseneintopf ist noch abgedeckt, es läuft leise Musik, und hinter den Panoramascheiben ist es bereits Nacht geworden. Der Ausblick ist schön, wenn auch nicht überragend. Am Himmel sind dunkle Wolken zu erkennen, zwischen denen nur noch selten ein paar Sterne aufblitzen. Es könnte sein, dass es bald regnet, aber das wäre eigentlich sehr ungewöhnlich zu dieser Jahreszeit, denn eigentlich sind die ersten Frühlingsnächte immer kristallklar, wenn auch nur selten wirklich warm. An diesem dritten März ist es jedoch bedeckt und auf den Straßen steht eine schwere, feuchte Luft, in der man ständig glaubt, unangemessen gekleidet zu sein. Ich gieße mir selbst etwas Wein ins Glas und drehe die Musik lauter. Eine Männerstimme singt, dazu spielen Instrumente, es ist ein fast klassischer Song, aber ich achte nicht auf den Text. Ich stehe vor der Panoramascheibe und schwenke das Weinglas.
    Die ersten vier Gäste kommen als Gruppe. Es sind drei Mädchen und ein Junge, sie arbeiten alle in Galerien und haben so zumindest auf Branchenfesten regelmäßig miteinander zu tun. Ich ahne, dass sie zuerst nach Wesley und dann nach Carla fragen wollen. Dass sie es nicht tun, finde ich ein wenig feige, trotzdem bin ich erleichtert darüber. Statt über Carla und Wesley reden wir über die Alkoholsorten, die uns Tom O’Brian großzügig bereitgestellt hat. Eines der Mädchen kennt sich gut mit Whisky aus und ich bin ein wenig froh, dass ich mich damit überhaupt nicht auskenne. Nachdem sie uns zudem Hintergrundinfos zu verschiedenen Weinbränden gegeben hat, wechselt sie lächelnd das Thema. Sie erwähnt, dass am übernächsten Samstag ja wieder unsere Regierungswahlen stattfinden. Wir anderen durchschauen ihr Ablenkungsmanöver natürlich gleich und gehen gar nicht auf die Wahlthematik ein. Mir fällt auf, dass weder Wesley noch Carla jemals an diesen Klassentreffen teilgenommen haben, da sie ja beide gar nicht in der Klasse gewesen sind. Ich bin auch nicht sicher, ob die drei Galeristinnen überhaupt jemals von Carla gehört haben. Aber ich kann mich noch gut daran erinnern, wie eine von ihnen letztes Jahr im Laufe des Abends immer anhänglicher wurde. Ich beobachte sie jetzt und versuche sie mir als tatsächliche Option vorzustellen, als eine Art Befreiungsschlag. Ich komme mir mit diesen Überlegungen jedoch sehr bald schmierig vor und breche sie ab, vermutlich auch, weil ich zeitgleich das Weinglas schwenke.
    »Geht ihr morgen an den Airport?«
    »Ich glaub, das wäre mir dieses Jahr zu anstrengend« , sagt Andreas, der bisher einzige männliche Gast, den alle immer bei seinem Nachnamen Lunex gerufen haben.
    Die Mädchen stimmen ihm nickend zu: »Wir trinken doch heute schon …«
    »Stimmt. Man kann ja nicht mehrere Tage nacheinander trinken …« , sage ich und grinse in den Raum. Als die anderen zurückgrinsen, finde ich, dass der Abend eigentlich gut beginnt.
    Nach zwei Stunden sind alle fünfzehn Gäste eingetroffen. Damit fehlen nur sieben aus der damaligen Klasse, und Roy fehlt auch nicht aus bösem Willen, sondern weil er bei einem Wakeboardunfall ums Leben gekommen ist. Er war die einzige Person in unserer Stufe, die sich ernsthaft für Wassersportarten und Motorboote interessiert hat. Wir anderen hielten ihn deshalb für etwas banal. Dass er dieses leicht uninspirierte Hobby mal mit seinem Leben bezahlen müsste, hat natürlich keiner von uns gehofft, und als die Meldung die Runde machte, hatten viele ein schlechtes Gewissen, weil sie Roy nie so richtig respektiert hatten. Wir haben aber schon in den letzten beiden Jahren nicht mehr von Roy gesprochen und sollten das auch heute nicht tun. Ich denke: ›Wenn Roy hier wäre, könnte wenigstens einer von uns aus einer fremden Welt erzählen: aus der Welt der Wakeboard-Competitions.‹ Weil ich während dieses Gedankens schon recht angetrunken bin, muss ich kurz bitter prusten, und als mich jemand fragt, was los sei, sage ich: »Nichts, nichts.«
    Wir sitzen an dem großen runden Tisch in der Mitte des Raumes, vor uns Linsensuppen und im Hintergrund Musik. Die meisten sind schon

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