Schimmernder Dunst über CobyCounty (German Edition)
tippen und atme einmal seufzend aus. Ich schaue durchs Fenster. Die Scheibe spiegelt halb mein Gesicht, halb zeigt sie das Meer, und ich habe das Gefühl, gerade über einen vieldeutig emotionalen Blick zu verfügen. Angeblich verfüge ich regelmäßig über solche Blicke, die Leute dazu anregen, über mich nachzudenken, über Blicke also, die scheinbar auf etwas verweisen. Manchmal bin ich von dem Ausdruck rund um meine Augen selbst erstaunt, wenn ich mich auf Fotos sehe, und dann denke ich, dass dieser Ausdruck in meinem bisherigen Leben von entscheidender Bedeutung gewesen sein könnte.
Bei dem Versuch, mir Dustin vorzustellen, setze ich völlig falsch an. Ich stelle mir nämlich jemanden vor, der mir überhaupt nicht ähnlich sieht. Einen braun gebrannten, muskulösen, schon etwas älteren Mann, der beim Reden heftig gestikuliert. Das macht es mir leichter, denn so einen Dustin könnte ich überhaupt nicht leiden. Dabei sieht er mir vermutlich ähnlich und vermutlich hat er auch eine ähnliche Mentalität wie ich. Ich kenne Carla gut genug und weiß, dass sie bei Männern immer auf einen bestimmten Typ steht. Sie wird von diesem Prinzip nicht abweichen, dafür ist sie viel zu gefestigt. Das ist leider so.
Für alle weiteren Notizen nehme ich mir vor, mich stärker an konkrete Situationen zu erinnern. Die Art, wie ich in die Welt blicke, wurde ja wahrscheinlich primär von konkreten Situationen geprägt und die Texte meiner jungen Autoren hangeln sich meist auch von einer Szene zu einer anderen Szene, als wäre das im Leben so, dass man nur Dialoge und Action erlebt, aber in gewisser Weise kann man das ja auch so sehen.
Das erste Treffen zwischen Carla und mir fand in einem Eiscafé statt. Wir hielten das beide für etwas lachhaft, deshalb fühlten wir uns wohl. Wir bestellten jeweils einen Becher mit zwei Kugeln unter Sahne und Schokoladensplittern. Extrem simple Eissorten: Vanille und Himbeere. Dazu Wasser mit Kohlensäure. Daran erinnere ich mich noch. Wir sprachen darüber, dass wir beide Phasen hinter uns hatten, in denen wir Eissorten wie ›After Eight‹ oder ›Maracuja Sunrise‹ bestellten, dass wir jetzt aber zu den Basics zurückgekehrt seien. Wir sprachen ernst darüber, das war uns wichtig. Harmlose Konsumentscheidungen dominierten schließlich große Teile des Alltags und noch größere Teile des Nicht-Alltags, also der Ferien, dessen waren wir uns beide bewusst, also führten wir solche Gespräche seriös. Auf diese Weise zeigten wir Verständnis füreinander, und später setzten wir uns an den Strand und fingen an uns zu küssen. Wir küssten uns wirklich gut, vom ersten Tag an.
Im Rückblick erscheint mir unser erstes Date in dem Eiscafé ungebrochen zauberhaft. In den Tagen direkt danach habe ich das noch nicht so gesehen. Da erzählte ich Wesley, dass ich nicht wisse, ob daraus etwas werden könne, zumindest aber hatte ich Lust, Sex mit Carla zu haben, auch das sagte ich Wesley, und Wesley sagte: »Das ist doch schon mal was.« Er meinte das nicht wirklich ernst, denn das war ja eigentlich noch nichts. Sex konnte man sich schließlich mit vielen Leuten vorstellen. Aber Wesley sah von außen schon viel besser als ich von innen, dass mir an Carla etwas lag. Mir war das selbst noch nicht klar, obwohl ja alles darauf hindeutete. Ich bin nicht sicher, ob ich das heute früher und eindeutiger erkennen würde, ob diese Sache etwas mit dem Erfahrungshorizont zu tun hat, also mit dem Älterwerden, oder damit, dass man Situationen, in die man gerade gerät, noch nicht gleich einordnen kann. Ich tendiere dazu, dass es etwas mit dem Erfahrungshorizont zu tun hat.
Auch viele Treffen später, als wir schon routiniert miteinander schliefen und glaubten, unsere unbewussten Gesten gegenseitig bereits lesen zu können, definierten wir noch nicht, was wir waren. Ein Paar oder eine Affäre oder Freundschaft mit Sex. Wir sprachen nur abstrakt über Paarbeziehungen an sich. Und über Affären und über entfernte Bekannte, die Freundschaft mit Sex hatten. Wir redeten über die Paare in den Vorabendserien unserer Kindheit und glaubten, dass ein kluges Paar heute bewusst anders sein müsste und so weiter. Letztlich haben wir nie definiert, welche Art von Zusammenleben wir führten, es blieb unausgesprochen und das war die einzige Möglichkeit, uns gegenseitig zumindest ein kleines Freiheitsgefühl zu erhalten. Richtig deutlich, dass wir uns in diesen zwei Jahren als Paar definiert hatten, wurde es vielleicht erst
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