Schimmernder Rubin
Augenblick. Schließlich richtete er sich auf, als wolle er gehen.
»Wie steht’s mit dir, Davinian?« fragte er beiläufig. »Was soll ich mit dir machen?«
Etwas an Hudsons Ton überraschte den alten Russen. Er ließ das Kinn sinken und spähte Hudson über den Rand seiner Brille an.
Hudson starrte zurück, als suche er nach etwas Neuem im Gesicht des Schmuckhändlers.
Davinian spürte, wie Eiseskälte in seinen Magen, seine knochigen Hüften, seine spindeldürren Beine zog.
»Was meinst du damit?« flüsterte er.
»Du bist alt geworden. Zu alt. Du hast den Spaß an unserem Spiel der Macht verloren. Das war es, was uns die ganzen Jahre angetrieben hat, der Spaß am Spiel. Die fast greifbare Erregung, die daher rührt, dass man Geheimnisse kennt und sie nutzt.«
Hudson nippte erneut an seinem Tee und blickte auf Davinians Becher, der halb leer zwischen ihnen stand.
»Keinen Tee mehr?« fragte er freundlich.
Sein Lächeln vertiefte noch die Kälte in Davinians Innerem. Schwäche erfaßte ihn, eine Vorahnung endloser Dunkelheit.
»Was hast du getan?« flüsterte er angespannt. »Ich bin krank. Hast du...«
Von einem plötzlichen Kälteanfall heimgesucht, brach er ab. Zitternd schlang er die Arme um sich in dem Versuch, die restliche Wärme daran zu hindern, aus seinem Körper zu fliehen.
»Ich?« fragte Hudson. »Ich habe nichts getan.«
Davinian hob so heftig den Kopf, dass seine Brille verrutschte.
»Es liegt an dir«, fuhr Hudson fort. »Du bist einfach zu alt für den Streß. Du solltest wirklich besser auf dich aufpassen. Ich könnte es arrangieren, dass man dir ein paar Behandlungen angedeihen läßt. Schließlich bist du mein alter Freund.«
Davinian erschauderte trotz des heißen Sommertags. Er sank gegen die Metalllehne am Rand der Bank, dann beugte er sich vor, um der Kälte zu begegnen, die sich in ihm ausbreitete und die Wärme und das Leben aus seinem Körper trieb.
»Du bist ein M-monster«, flüsterte er mit klappernden Zähnen. »W-was h-hast d-du b-benutzt? Sag es mir! I-ich h-habe d-das R-recht zu erfahren, w-woran ich s-sterben w-werde!«
Hudson schüttelte traurig den Kopf.
»Wenn du weiter so wirres Zeug redest«, sagte er, »muss ich wohl gehen. Ich kann es mir nicht leisten, dass man mich mit senilen alten Armeniern und heimwehkranken russischen Juden sieht.«
Davinian versuchte auf Hudsons leisen Spott zu reagieren, aber er konnte es nicht mehr. Eine Kältewoge wie der russische Winter wallte in ihm auf. Sein schwacher, sterbender Leib wurde von Zuckungen erschüttert, die heftig, aber völlig schmerzlos waren.
Hudson sah sich unauffällig um. Niemand schien auf die beiden Männer unter dem Baum zu achten. Ihren bequemen Alltagskleidern nach zu urteilen hätten sie alte Freunde sein können, die gemeinsam in der Sonne saßen und sich wehmütig über die Vergangenheit unterhielten.
Er sah Davinian an, und einen Moment lang fühlte er so etwas wie Mitleid.
»Tut es weh, mein Freund?« fragte er sanft. »Man sagte mir, es täte nicht weh. Betrachte es als mein Abschiedsgeschenk an dich, einen schmerzlosen Tod. Das ist mehr, als die meisten alten Männer bekommen.«
Davinian kauerte auf seinem Ende der Bank. Die Zuckungen hatten ihm die Stimme geraubt. Er konnte nur noch mit den Zähnen klappern und die brechenden Augen auf den Mann richten, der sein Mörder war.
Hudson streckte die Hand aus und berührte den alten Juwelier an der Schulter wie ein Freund, der sich verabschiedet. Dann stand er auf und ging in die Richtung zurück, aus der er gekommen war.
Er drehte sich nicht um. Es gab keinen Grund. Davinian war Teil der ohnmächtigen toten Vergangenheit. Hudson hingegen gehörte die kraftvolle, lebendige Zukunft.
Sobald er mit Claire Toth fertig war.
19
Endlich wieder in ihren eigenen Kleidern, ging Laurel zu der schweren Tür des Büros der Botschafterin, drehte prüfend den Knauf und stellte fest, dass nicht abgeschlossen war. Trotzdem zögerte sie noch. Vielleicht hätte sie doch frühstücken sollen. Sie fühlte sich hohl und leer.
»Hör auf, Zeit zu schinden«, ermahnte sie sich. »Was hast du schon zu verlieren? Wenigstens bist du inzwischen anständig angezogen.«
Die Erinnerung daran, dass sie Cruz in der Turnhalle mit nichts als zwei dünnen Baumwollfetzen bekleidet gegenübergetreten war, ließ sie erröten. Ohne anzuklopfen drehte sie den Knauf und öffnete die Tür.
Der Raum war groß, kühl, fensterlos und trotzdem taghell. An allen vier Wänden
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