Schindlers Liste
Angelegenheit mit keinem Wort, und doch verging keine Woche, da verließen Regina und die Kinder das Lager, sie standen mit Erlaubnis von Göth, der dafür ein Päckchen mit Schmuck erhalten hatte, auf Schindlers Liste. Schindler selbst ließ durch nichts merken, daß er die Hand im Spiel gehabt hatte. Regina Horowitz erwartete, daß er sie einmal ansprechen werde, denn daß er wußte, wer sie war, unterlag keinem Zweifel, und sie überlegte lange, mit welchen Worten sie ihm danken wollte, doch nichts dergleichen geschah. Hin und wieder scherzte er mit Richard, und dieser stellte jetzt ganz andere Fragen als in Plaszow. Daran merkte sie am besten, welches Geschenk ihr gemacht worden war. Im Nebenlager Emalia regierte kein Kommandant, der die Häftlinge tyrannisierte. Es gab nicht einmal eine ständige Wachmannschaft, sondern SS und Ukrainer wechselten alle zwei Tage. Sie kamen gern, denn so primitiv Schindlers Küchen auch waren, das Essen war hier besser als in Plaszow.
Das Lager oder die Fabrik allerdings betrat man besser nicht, denn solche Übergriffe meldete der Direktor unweigerlich Oberführer Scherner.
Ausgenommen gelegentlicher Inspektionen durch höhere SS-Führer, bekamen die Arbeiter der DEF nur selten eine Uniform aus der Nähe zu sehen. Gassen aus Stacheldraht führten von den Unterkünften zur Emailwarenfabrik und zur Munitionsfertigung. Die Arbeiter, die Kisten und Heizkörper herstellten und der Garnison zur Verfügung standen, gingen unter Bewachung zu ihren Arbeitsplätzen. Auch deren ukrainische Wachposten wechselten alle zwei Tage.
Man könnte also sagen, die SS bestimmte über die Lebensdauer der Arbeiter im Lager Emalia, aber Schindler bestimmte die Atmosphäre, in der dieses Leben sich abspielte. Hunde gab es nicht. Auch Schläge nicht. Es gab mehr und besseres Essen als in Plaszow, etwa Kalorien am Tag, wie ein Arzt schätzte, der in der Fabrik arbeitete. Die Schichten dauerten manchmal bis zu zwölf Stunden, denn Schindler war schließlich Unternehmer und hatte seine Lieferfristen einzuhalten, und er wollte seinen Profit machen. Die Arbeit aber war nicht aufreibend, und viele Häftlinge scheinen damals begriffen zu haben, daß sie sich durch ihre Arbeit buchstäblich am Leben hielten. Aus Unterlagen, die Schindler nach dem Krieg dem Joint Distribution Committee vorlegte, geht hervor, daß er 1 800 000 Zloty für Lebensmittel für das Lager Emalia aufwandte. Auch in den Büchern der IG Farben und denen von Krupp finden sich ähnliche Eintragungen, doch Tatsache ist, daß bei Schindler niemand unter Hunger, Schlägen und Überarbeitung zusammenbrach, während allein in den Bunawerken der IG Farben 25000 von 35000 Arbeitskräften zu Tode geschunden wurden. Die Belegschaft der Emalia hat viele Jahre später das Lager von Schindler ein Paradies genannt. Es kann sich dabei nicht um eine nachträgliche Sprachregelung handeln, denn diese Menschen waren unterdessen über die ganze Welt verstreut.
Man muß das damals bereits so empfunden haben. Selbstverständlich war es ein relatives Paradies, der Himmel im Vergleich mit Plaszow. Aber wer in der Emalia lebte, hatte das Gefühl, noch einmal davonkommen zu können. Man wollte dieses Gefühl auch nicht allzu genau analysieren aus Furcht, es könnte sich verflüchtigen. Neuzugänge kannten Schindler nur von Beschreibungen. Sie wichen ihm nach Möglichkeit aus. Es brauchte Zeit, sich an sein ungewöhnliches Gefängnissystem zu gewöhnen.
Typisch ist dafür die Haltung einer jungen Frau namens Lusia. Ihr Mann war kürzlich auf Transport nach Mauthausen geschickt worden, und sie trauerte um ihn wie eine Witwe — zu Recht, wie sich erwies. In der DEF beschickte sie die Brennöfen. Es war erlaubt, Wasser auf den erhitzten Flächen der Geräte zu wärmen, und auch der Fußboden war warm. Heißes Wasser empfand sie als die erste Wohltat in der Emalia. Schindler war für sie anfangs nichts als eine mächtige Gestalt im Gang zwischen den Maschinen oder auf einem Laufsteg.
Bedrohlich wirkte er nicht auf sie. Trotzdem wollte sie »nicht auffallen, wollte nur ihre Arbeit verrichten und durch die Stacheldrahtgasse in die Baracke zurückgehen. Nach einer Weile nickte sie, wenn er grüßend an ihr vorüberging. Sie wagte sogar, auf seine Frage zu antworten, ja, es gehe ihr gut. Einmal schenkte er ihr Zigaretten, die wertvoll waren, als Tauschobjekt. Weil sie aber die Erfahrung gemacht hatte, daß Freunde verschwinden, wollte sie ihn nicht zum Freund, er sollte
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