Schindlers Liste
sagte er, ohne aufzublicken, »du brauchst für ein Scharnier knapp eine Minute. Und das hier ist alles, was du bis jetzt geschafft hast?« Er ließ Levartov vor sich her aus der Baracke gehen, stellte ihn draußen vor die Mauer und zog die Pistole, mit der er Tage zuvor den Jungen erschossen hatte. Levartov sah, daß etliche Gefangene sich beeilten, wegzukommen aus der Gefahrenzone. Er sagte lautlos das Schema Jisrael und hörte Göth durchladen. Es erfolgte aber kein Knall, als der Hauptsturmführer abdrückte, sondern ein Klicken. Göth wechselte das Magazin aus und drückte wieder ab. Wieder nichts. Göth fluchte. Er steckte die Pistole weg und zog aus der Tasche einen exotischen Revolver, wie Levartov noch keinen gesehen hatte.
Nichts wird mich retten, dachte er, und wenn auch dieser Revolver versagen sollte, dann schlägt er mich mit einem Knüppel tot. Trotzdem machte er noch einen Versuch: »Herr Kommandant, die Drehbänke sind heute früh neu justiert worden, und ich mußte solange Kohlen schaufeln. Deshalb habe ich nicht mehr Scharniere machen können.«
Er kam sich dabei vor, als verletze er die Regeln eines Spiels, das mit seinem unabwendbaren Tode enden sollte. Aber auch der Revolver versagte. Göth versetzte ihm einen Faustschlag ins Gesicht und ließ ihn einfach stehen. Aber damit war die Angelegenheit nicht ausgestanden, davon war Stern fest überzeugt.
Schindler bemerkte nur: »Wozu so viele Worte, Stern? Ich kann immer jemand brauchen, der in einer Minute ein Scharnier macht.«
Als Levartov im Sommer 1943 zu Schindler kam, erlebte er eine Überraschung: Am ersten Freitagnachmittag trat Schindler zu ihm an die Drehbank und sagte: »Sie haben jetzt hier nichts mehr zu suchen. Bereiten Sie sich gefälligst auf den Sabbat vor.« Dabei steckte er dem Rabbi eine Flasche Wein zu. Und so wurde es fortan gehalten. Levartov ging in die Baracke und sprach Kiddusch über einem Glas Wein auf einer Pritsche zwischen zum Trocknen aufgehängten Wäschestücken, praktisch im Schatten eines Wachturmes, auf dem ein SS-Posten stand.
Kapitel 24
Der Oskar Schindler, der in diesen Tagen im Hof seiner Fabrik vom Pferd stieg, wirkte immer noch wie das Idealbild des Unternehmers. Er sah äußerst gepflegt aus, ähnelte den Filmschauspielern George Sanders und Curd Jürgens, mit denen man ihn immer verglichen hat. Reitjacke und Hose waren maßgeschneidert, seine Stiefel blinkten. Ganz augenscheinlich ein Mann, der aus allem Profit zu schlagen weiß. Jetzt von einem ländlichen Ausritt zurückgekehrt, setzte er sich an einen Schreibtisch, auf dem sich Rechnungen häuften, wie sie es bislang nicht einmal in einem so ausgefallenen Unternehmen wie der DEF gegeben hatte.
Die Lagerbäckerei Plaszow lieferte zweimal wöchentlich etliche hundert Laibe Brot in die Lipowastraße in Zablocie und gelegentlich eine halbe Lkw-Ladung Rüben. Ein Vielfaches dieser Mengen dürfte in den Büchern des Lagerkommandanten erschienen sein, und die Differenz verkaufte vermutlich Chilowicz für Göth auf dem schwarzen Markt. Hätte Schindler sich mit dem begnügt, was er zugeteilt bekam, hätten seine 900 Arbeiter wohl nicht mehr als 750 Gramm Brot pro Woche und jeden dritten Tag Suppe gegessen. Statt dessen beschaffte er für monatlich 50000 Zloty auf dem schwarzen Markt Lebensmittel für die Lagerküche. Wöchentlich verbrauchte er manchmal mehr als 300 Brotlaibe. Die bekam er über die deutschen Treuhänder der Großbäckereien und zahlte dafür in Reichsmark.
Schindler schien nicht zu bemerken, daß er in jenem Sommer einer der bedeutendsten illegalen Ernährer von Gefangenen war und daß die Blässe des Hungers, die die SS den Insassen nicht nur der Todesfabriken, sondern auch jedes kleinen stacheldrahtumzäunten Arbeitslagers verordnet hatte, seinen Gefangenen auf verdächtige Weise fehlte.
In diesem Sommer ereigneten sich auch viele von jenen Vorkommnissen, die zum Entstehen des Schindler-Mythos beitrugen, die den mystischen Glauben an ihn als den Retter bei vielen Häftlingen in Plaszow und bei allen Bewohnern des Nebenlagers Emalia weckten.
Die Nebenlager wurden bald nach ihrer Errichtung von höheren Chargen des Hauptlagers daraufhin kontrolliert, ob hier auch die Arbeitskraft der Häftlinge vorbildlich genutzt wurde.
Wer von den Plaszowern diese Besichtigung in der Emalia durchführte, steht nicht fest, doch haben Schindler und etliche Gefangene behauptet, Göth sei jedenfalls dabeigewesen. Aber ob nun Göth oder John,
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