Schindlers Liste
gewesen, er hatte sie kaltblütig hinausgeworfen!
Im Laufe des Monats kam das Ehepaar Perlmann ins Nebenlager Emalia. Nicht allein, wie Regina sich vorgestellt hatte, sondern als zwei von dreißig neuen Arbeitern. Manchmal besuchte sie sie in der Fabrik. Ihr Vater schaufelte Kohlen, fegte die Fabrikhalle. »Er redet aber wieder«, sagte ihre Mutter. In Plaszow war er gänzlich verstummt. Trotz der zugigen Baracken und der stinkenden Latrinen herrschte im Lager Emalia eine Atmosphäre der Geborgenheit, so daß sie, die mit falschen Papieren in Krakau ein gefährdetes Leben führte, die Lagerinsassen jedesmal beneidete, wenn sie nach einem solchen Besuch die Fabrik verließ.
Dann ging es darum, den Rabbi Menasha Levartov ins Lager Emalia zu bringen, der sich als Schlosser in Plaszow am Leben hielt. Er war jung und trug einen schwarzen Bart, war liberaler als die Kleinstadtrabbiner, die glaubten, den Sabbat einzuhalten sei wichtiger als am Leben zu bleiben, und die deshalb 1942, und 1943 Freitag abends zu Hunderten erschossen wurden, weil sie sich weigerten, am Samstag Zwangsarbeit zu verrichten.
Itzhak Stern, der in der Verwaltung der Werkstätten arbeitete, bewunderte Levartov seit je und pflegte, wann immer sich die Gelegenheit bot, tiefgründige Gespräche mit ihm über religiöse Themen zu führen. Er bat Schindler, dafür zu sorgen, daß Levartov so bald wie möglich aus dem Lager komme, andernfalls werde Göth ihn umbringen. Denn Levartov hatte eine Ausstrahlung, die ihn gefährdete, er konnte tun, was er wollte, er fiel einfach auf. Und dafür hatte Göth eine Antenne, solche Leute waren für ihn ein bevorzugtes Ziel. Göth hatte bereits versucht, ihn zu ermorden, und so sonderbar es klingt, es war ihm mißlungen.
Göth hatte jetzt mehr als 30000 Zwangsarbeiter unter sich. Unweit der ehemaligen Leichenhalle, die jetzt als Stall diente, waren Unterkünfte für bis zu 1200 Polen errichtet worden, und nach einer Besichtigung der gesamten Anlage war Obergruppenführer Krüger so beeindruckt, daß er Göth zum Hauptsturmführer beförderte. Außer den Polen wurden Juden aus dem Osten und aus der Tschechoslowakei aufgenommen und hier behalten, bis man sie weiterschicken konnte nach Auschwitz-Birkenau oder nach Groß-Rosen. Manchmal waren bis zu 25 000 Menschen im Lager, und der Appellplatz konnte sie nicht fassen. Man mußte also immer wieder Platz schaffen, und dafür hatte Göth sein eigenes Rezept. Er ging in die Werkstätten oder in die Büros, ließ die dort anwesenden Gefangenen in zwei Reihen antreten, deren eine entweder auf die Anhöhe geführt und in der alten Batteriestellung erschossen oder am Bahnhof Krakau-Plaszow in Viehwagen verladen wurde. Seit dem Herbst 1943 gab es übrigens das Zubringergleis der Ostbahn, und die Verladung fand nahe den Unterkünften der SS statt.
Bei einer solchen Selektion war ihm Levartov aufgefallen, der in der Schlosserei arbeitete.
Göth kam herein, ließ sich Meldung machen und befahl: »Z5 gelernte Schlosser vortreten!«
Levartov wurde von den anderen in diese Gruppe gedrängt. Man wußte zwar nie, wer bleiben und wer abgeführt werden würde, doch schien er da besser aufgehoben.
Ein Junge von vielleicht siebzehn Jahren meldete sich eifrig: »Ich bin auch gelernter Schlosser, Herr Kommandant!«, was Göth mit einem gemurmelten: »Ach wirklich?« zur Kenntnis nahm und den Jungen auf der Stelle erschoß. Die Schlosser blieben da und mit ihnen Levartov, während die anderen zum Bahnhof marschierten. Levartov aber war Göth aufgefallen, und obwohl der Zwischenfall mit dem Jungen ihn vorübergehend abgelenkt hatte, warf er Levartov einen Blick zu, der deutlich sagte: Du bist auch so einer.
Einige Tage später kam Göth wiederum in die Schlosserei und selektierte noch einmal, diesmal persönlich. Bei Levartov blieb er stehen, ganz wie dieser vermutet hatte.
»Was machst du da?«
»Scharniere, Herr Kommandant.« Und der Rabbi deutete auf ein Häufchen Scharniere neben sich am Boden.
»Dann mach mir eins«, befahl Göth, zog die Uhr aus der Tasche und schaute ostentativ aufs Zifferblatt. Levartov gab sich große Mühe, so rasch wie möglich zu arbeiten, er schätzte, daß er für das Scharnier eine knappe Minute brauchte.
»Noch eins«, befahl Göth, und wieder blickte er auf die Uhr. Etwa eine Minute später fiel das zweite Scharnier neben Levartov auf das Häufchen am Boden. Göth betrachtete es aufmerksam. »Seit heut früh um sechs stehst du hier an der Drehbank«,
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