Schindlers Liste
mußten jeden Schlag laut mitzählen; verzählte sich jemand, begannen die Schläge wieder von vorn. Und Göth kannte noch andere Schikanen, die allesamt viel Zeit kosteten.
Die Arbeiter in den Betrieben innerhalb des Lagers kamen daher oft Stunden später an ihren Arbeitsplatz, und bei Schindler trafen sie mit einer weiteren Stunde Verspätung ein, außerdem waren sie geschockt, konnten sich nicht konzentrieren, standen unter dem inneren Zwang über das zu reden, was Göth oder John oder Scheidt sich diesmal wieder an Grausamkeiten hatten einfallen lassen. Schindler beschwerte sich bei der Rüstungsinspektion. Es hatte keinen Zweck, sich deshalb mit diesen Leuten anzulegen, hieß es. Die führen nicht denselben Krieg wie wir.
»Ich würde meine Arbeiter am liebsten auf dem Fabrikgelände unterbringen«, sagte Schindler. »In meinem eigenen Lager.«
»Aber haben Sie denn Platz für so was?« wurde er gefragt.
»Angenommen, ich hätte Platz, würden Sie mich unterstützen?«
Das wurde ihm zugesagt. Er wandte sich an Bielskis in der Stradomstraße, denen das an die DEF angrenzende unbebaute Grundstück gehörte, und machte ihnen ein Kaufangebot, das so verlockend war, daß sie auf der Stelle darauf eingingen.
Schindler fuhr gleich weiter nach Plaszow hinaus und eröffnete Göth, er wolle sein eigenes Arbeitslager auf dem Fabrikgelände einrichten. Göth stimmte bereitwillig zu. »Falls die SS-Führung nichts dagegen hat, können Sie mit mir rechnen. Bloß meine Musiker und mein Dienstmädchen möchte ich behalten.«
Tags darauf fand eine Besprechung bei Oberführer Scherner in der Oleanderstraße statt.
Scherner wußte ebensogut wie Göth, daß Schindler bereit sein würde, die gesamten Kosten für ein Nebenlager zu übernehmen. Sie ließen sich nicht durch das vorgeschobene Argument täuschen, er wolle seine Arbeiter in unmittelbarer Nähe der Fabrik haben, um sie besser »ausbeuten« zu können - sie wußten, daß er andere Zwecke damit verfolgte, daß er eine Schwäche für Juden hatte, eine beklagenswerte Verirrung bei einem so netten Menschen, aber so etwas kam vor, dem jüdischen Bazillus war schon mancher erlegen, das war ja bekannt, und in Schindler sahen sie so etwas wie einen in einen Frosch verwandelten Prinzen.
Aber dafür mußte er selbstverständlich zahlen. Für die Errichtung Von Nebenlagern gab es Richtlinien. Vorgeschrieben waren eine drei Meter hohe Umzäunung samt Wachtürmen in bestimmten Abständen; Latrinen; Baracken; ein Krankenrevier, wo auch Zahnbehandlungen durchgeführt werden konnten; Duschräume und Entlausungsvorrichtungen; Friseurstube; Wäscherei; Verwaltungsbaracke; Unterkünfte für Wachpersonal in besserer Ausführung als die Häftlingsbaracken; sonstiges Zubehör. Die Herren von der SS gingen davon aus, daß Schindler dies alles bezahlen werde, sei es nun aus ökonomischen Gründen, sei es, weil er von den Kabbalisten behext war.
Schindlers Vorschlag kam ihnen auch insoweit gelegen, als in absehbarer Zeit das Getto Tarnow aufgelöst werden würde und dessen Insassen von Plaszow übernommen werden sollten. Auch kamen Tausende von Juden aus den polnischen Südprovinzen. Ein Nebenlager in der Lipowastraße würde den Druck wenigstens etwas mindern. Zudem begriff Göth, auch wenn er das seinen Vorgesetzten nicht sagte, sehr gut, daß man das Lager in der Lipowastraße nicht allzu korrekt mit den Mindestmengen von Lebensmitteln würde beliefern müssen, welche die Richtlinien vorsahen. Schon jetzt ließ Göth - ein Gott, der nach Lust und Laune Blitze von seiner Veranda schleudern durfte, und überdies davon ausging, daß es ganz im Sinne seiner Vorgesetzten war, wenn die Lagerbelegschaft in Plaszow dezimiert wurde einen Teil der dem Lager zugewiesenen Lebensmittel in Krakau durch einen Agenten verkaufen, einen Juden namens Wilek Chilowicz, der seine Verbindungen hatte.
Dr.Alexander Biberstein, nunmehr Zwangsarbeiter in Plaszow, schätzte, daß die Tagesration dort im Kalorienwert zwischen 700 und l000 schwankte. Zum Frühstück gab es einen halben Liter Ersatzkaffee, der nach Eicheln schmeckte, und 175 Gramm Roggenbrot für den ganzen Tag.
Die Mittagssuppe war mal dünn, mal weniger dünn und basierte auf Karotten oder Rüben mit Sagoersatz. Die Außenkommandos schmuggelten, wenn möglich, Lebensmittel ins Lager.
Dies suchte Göth zu verhindern, indem er solche Kommandos vor der Verwaltungsbaracke filzen ließ. Zusätzliche Lebensmittel hätten den natürlichen
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