Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
Vom Netzwerk:
ein Panorama der Schlacht von Waterloo
in Zinn zusammentrug. Eine Armeefreundschaft wiegt mehr als alles Übrige, so
schien es Ihnen. Menschen, die einander einmal so überaus nah gewesen, suchen
diese verflossene Nähe noch nach vielen Jahren wiederzufinden, auch wenn sie
inzwischen ganz andere sind - vergleichbar etwa dem Wasser, das einmal in einer
Vase war und längst zu Dampf oder Regen geworden ist. Sie berichteten, der
Freund rauchte und hörte zu, zwei Ströme Rauch aus seinen Nasenflügeln prallten
in den Makkaroniteller. Die Sache war aussichtslos, so viel verstand er, und
dass er, wenn er Ihnen half, selbst dabei draufgehen konnte - doch gerade das
reizte ihn. War es Dostojewski, der gesagt hatte, sein Leben zu opfern sei
vielleicht das leichteste von allen Opfern? Am nächsten Morgen zog Ihr Freund
sein gestreiftes Matrosenhemd an und begab sich zur Exgattin des Journalisten,
um über sie mit dem Geist des Toten in Kontakt zu treten und Aufschluss über
den Verbleib des verschollenen Diplomatenkoffers zu erhalten. Die Angestellten
der Wäscherei gegenüber hatten Schüsse gehört und die Polizei verständigt, und
als die diensthabende Einheit dem Stau der Rushhour endlich entronnen und vor
Ort angelangt war, griff sie sich unseren edlen Helden und vermochte ihm während
des kurzen, verzweifelten Handgemenges ein paar silberne Teelöffel in die
Tasche zu schieben; umsonst seine Beteuerungen, er habe die Frau tot auf dem
Bett vorgefunden, die Nase ins Kissen vergraben, mit einer Kugel im Herzen. Er
hatte sich auf sie gestürzt in der Hoffnung, sie wiederbeleben zu können -
darum klebte ihr Blut an ihm. Dann hatte er ihr die Pistole aus der Hand
gezogen, die jemand hineingelegt hatte, damit es wie Selbstmord aussah, und der
Kontrollschuss ins Bein war losgegangen, weil die Pistole entsichert gewesen
war und Ihr Freund mit Waffen nicht umzugehen verstand. So erklären sich ihr
Blut und die Schmauchspuren an ihm und seine Fingerabdrücke an der Pistole.
Aber das ist unwichtig, wichtig ist nur, dass Ihr treuer Freund vor seiner Verhaftung
noch den Code und die Schließfachnummer vom Bildschirm des laufenden Computers
abgelesen und Ihnen telefonisch übermittelt hatte, sodass Sie zum Bahnhof
fahren und den unseligen Diplomatenkoffer an sich nehmen konnten. Die
Verhaftung des gänzlich unschuldigen, Ihretwegen in die Bredouille geratenen
Mannes verleiht der Handlung immerhin eine gewisse Spannung und Dramatik. Da
liefen Sie nun mit dem Bösen im Koffer die Straße lang und überlegten, was zu
tun war. Hinter Ihnen klingelten und klirrten Gläser, Sie wandten sich um.
Eine alte Frau zerrte einen Schlitten mit Kinderbadewanne über den Asphalt,
randvoll mit leeren Flaschen. Junge Mütter mit Kinderwagen saßen in der
Grünanlage und diskutierten, wie man einen Säugling am besten abstillt, die
eine erzählte, ihre Mutter habe beim Säugen des jüngsten Geschwisters die
Brustwarze mit Senf bestrichen, und der Kleine, der schon zu sprechen anfing,
habe das Gesicht verzogen und gesagt: Mama pfui bä-bä! Bekommt ein Kind zu
lange die Brust, lernt es spät zu sprechen und wird sich damit schwertun. Der
Rentner, der sie vom Fenster aus beobachtet hatte, ging in die Küche, riss ein
Kalenderblatt ab und seufzte: Ach, morgen wird Puschkin erschossen. Gegen
Mittag wurde der Schnee mürbe und schwammig, die Schneewehen sahen aus wie von
Termiten zerfressen, und unter dem Holunderbusch war die angetaute Kruste ganz
pickelig. Vor dem Eingang zum Restaurant vollführte der Schwarze in Livree ein
kleines Tänzchen und blinzelte froh in die Sonne, die Goldknöpfe blinkten.
Bestimmt war er einmal ins Land gekommen mit der Absicht zu studieren. Im
Kindergarten riss die Tante, als endlich alle auf den Töpfchen saßen, das
Fenster auf, damit die Zahl der Erkältungsfälle zu- und die Zahl der anwesenden
Kinder abnahm. In der Auslage der Konditorei hing ein Reklameschild schief, auf
dem stand: Gestern noch ein Tropfen Schleim, morgen wirst du Asche
sein. Die kleinen Löwen im Zoo, die von einer Hündin gesäugt
wurden, spielten ausgelassen. Die Friseurin im Friseurladen hatte nach dem
Mittagessen einen Schluckauf, während sie daran dachte, dass sie abends wieder
Gitarre üben würde - sie legte immer Schaumstoff unter die Saiten, um lautlos
an ihren Akkorden basteln zu können. In der Kunstschule gegenüber posierte ein
Aktmodell mit über die Genitalien gezogener Socke, da es keines dieser
speziellen Säckchen mit Schnüren

Weitere Kostenlose Bücher