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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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Luchs ins Dunkle
spähend und lauschend. Sie hörten die leeren Spritzen unter Ihren Füßen
knirschen. Schließlich blieben Sie ganz stehen. Oben, auf dem nächsten
Treppenabsatz, standen welche und unterhielten sich leise. Das Gespräch brach
ab, sowie Sie stehen blieben. Ein Abzug spannte sich mit leisem Klicken. Und
Sie begriffen, dass da jemand auf Sie wartete, und an dieser Stelle begann eine
Naturbeschreibung. Es war ein stiller Sommermorgen. Die Sonne stand schon
ziemlich hoch am klaren Himmel, aber die Felder blitzten noch im Tau; aus den
eben erwachten Tälern wehte es duftige Frische, und im feuchten, noch recht
stillen Wald sangen die Morgenvögel. Über die Wolkenbilder im Staubecken
flitzten Himmelsläufer. Eine vom Blitz gefällte Espe, schiefrig. Um die am
Sonnenstrahl klebende Libelle ein glasiger Nimbus. In der Eichenkrone hausten
Zecken. Eine Ulme war bronzen erglüht. Der Wind hatte der Fichte einen Scheitel
gekämmt. Bei Dante ist der Wald eine Ansammlung verwunschener Sünder. Das
verdorrte Wiesengras knisterte unter den Füßen. Vom Zirpen der Grillen dröhnten
die Ohren. Das Flüsschen schlich sich an wie ein Indianer, zerrte die Wasserpflanzen
an den Haaren. Niemand kommt auf den Gedanken, dem Himmel Namen anzuhängen,
obwohl auch er, nicht anders als die Ozeane, seine Meere und Engen, Gräben und
Rücken hat. Das Klicken des Abzugs war von einer leeren, herumliegenden
Bierdose gekommen. Das Gespräch auf dem Treppenabsatz wurde wieder aufgenommen,
jemand fuhr fort, über eine Hündin mit menschlichen Augen zu reden. Die ihr
Herrchen auf Anhieb verstand. Geradezu wie ein Mensch sei einem dieses Tier
vorgekommen, nur eben mit Fell und vier Beinen. Aber nachdem sie Welpen
geworfen habe, müsse etwas mit ihr vorgegangen sein. Er sei dazugekommen, wie
sie ihren Hündchen die Köpfe abbiss. Da habe sich etwas ausgerenkt in der
Natur, so etwas könne es nicht geben, so etwas dürfe nicht sein. Er habe sich
gezwungen gesehen, sie zu erschießen. Das ging noch mal gut!, dachten Sie
erleichtert und liefen weiter. Oben angekommen, zogen Sie Ihren Schlüssel,
schlossen die Wohnungstür auf - und prallten zurück, entsetzt und geschockt von
dem Anblick, der sich Ihnen bot. Wie spätere Untersuchungen ergaben, waren die
Bewohner des Viertels gegen drei Uhr morgens durch eine Folge grässlicher
Schreie aus dem Schlafe geschreckt worden, doch hatten die Nachbarn,
eingeschüchtert von den wilden, räuberischen Zeiten, lieber die Decke über den
Kopf gezogen. Das Zimmer befand sich in wüstester Unordnung - die Möbel
zertrümmert und in alle Richtungen verstreut. Auf einem Stuhl lag ein blutbeschmiertes
Rasiermesser. Am Kamingitter klebten zwei oder drei lange, dicke Strähnen
grauen menschlichen Haares, das ebenfalls mit Blut besudelt und scheinbar mit
den Wurzeln ausgerissen worden war. Auf dem Fußboden fanden sich vier
Napoleondors, ein Ohrring aus Topas und zwei Säckchen alte Gedenkrubel, die
hierzulande von allen Automaten als Fünffrankenstück angenommen werden, das
mit Wilhelm Teil. Auf dem Fensterbrett ein zerschlagenes Dreiliterglas mit dem
Kefirpilz, der inzwischen vertrocknet und eingeschrumpelt war. Von Ihrer
Mutter und der Schwester keine Spur; da man aber auf der Feuerstelle eine
ungewöhnliche Menge Ruß bemerkte, suchte man im Schornstein nach und zog - o
Graus! - die Leiche der Schwester mit dem Kopf nach unten heraus; sie war bis
zu beträchtlicher Höhe in die enge Öffnung hineingezwängt worden. Der Körper
war noch ganz warm. Bei näherer Untersuchung bemerkte man mehrere Hautabschürfungen,
die zweifellos durch die Gewalt verursacht worden waren, mit der der Leichnam
erst in den Schornstein hochgeschoben und dann wieder herabgezogen worden war.
Das Gesicht wies viele schwere Kratzwunden auf und der Hals dunkle Quetschmale
und tiefe Eindrücke von Fingernägeln, so, als sei das Mädchen erwürgt worden.
Das Interessanteste aber war, dass man die Schwester in einem Raum auffand, der
von innen verschlossen gewesen war, auch die Fensterriegel waren vorgeschoben.
Noch ein Locked-Room-Mysterium! Wir sind gespannt, wie Sie sich diesmal
herauswinden wollen. Nach einer gründlichen Durchsuchung aller Teile des
Hauses, wobei nichts weiter entdeckt wurde, gelangte man auf den Hof, wo ein
Müllhaufen vor sich hin stank; seit es taute, ging dieser Verwesungsgeruch von
ihm aus, und richtig, hier war es, wo man die Leiche der alten Dame fand. Der
Kopf war vom Rumpf fast vollständig getrennt und

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