Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
Vom Netzwerk:
ein paar Schwimmzüge entfernt scheint,
will offenbar Fangen mit Ihnen spielen, Sie schwimmen und schwimmen, und es
bleiben immer dieselben paar Züge bis zum Ufer. Die Kräfte erlahmen schnell,
das Kraulen geht ja nur mit einer Hand, und der Diplomatenkoffer zieht Sie
hinab zum Grund. Strampelnd schlucken Sie Wasser, und über Ihrem Kopf schlagen
die Wellen zusammen. Sie öffnen die Augen: gelbe Wand mit Algenzweiglein und
Sonnenkreis in funkelnder Trübnis. Sie kämpfen noch ein Weilchen weiter, bis
schlagartig eine unerhörte Leichtigkeit von Ihnen Besitz nimmt. Alle Sorgen
fallen ab, es ist fantastisch. Wieso habe ich mich eigentlich so
abgestrampelt, schießt es Ihnen durch den Kopf, wenn alles so leicht und
wunderbar ist!
     
    Gerettet
wurden Sie von Kapitän Nemo und seiner Nautilus und am
anderen Ufer abgesetzt, in Romanshorn, um genau zu sein. Dort kauften Sie sich
diese Fahrkarte hier und bestiegen den Zug nach Kreuzungen. Sie setzten sich so
ans Fenster, dass Sie auf den Bodensee blicken konnten, sahen nach, wie viel
Geld noch in Ihrer Brieftasche war, und stießen dabei auf die Zeichnung Ihres
Sohnes, diese Krakelei, die er Ihnen zum Geburtstag gefertigt hatte, seither
tragen Sie den Fetzen Papier bei sich; kahle Bäume zogen am Fenster vorüber,
nach rechts geneigt wie die Buchstaben in einer weiblichen Handschrift, und Sie
begriffen, da hatte Ihre Frau Ihnen einen Brief geschrieben: Ich liebe Dich und
warte sehnsüchtig, stand da. Sie schlummerten ein - und dann musste es beim
Aussteigen schnell gehen, im letzten Moment sprangen Sie auf den Bahnsteig, und
erst dort fiel Ihnen ein, dass Sie den Diplomatenkoffer vergessen hatten, und
außerdem alle Dokumente, die Ihre Identität nachweisen könnten, aber da war es
zu spät, der Zug schon weg. Ist das alles richtig so?
    Antwort: Ja. So
ungefähr. Ich weiß nicht. Kann sein, dass ich das eine oder andere
durcheinandergebracht habe. Sie müssen entschuldigen, es ist die Aufregung.
    Frage: Beruhigen
Sie sich doch. Sie haben es ja hinter sich. Mögen Sie einen Schluck Wasser? Ich
kann verstehen, dass das alles nicht leicht für Sie ist.
    Antwort: Vielen Dank!
Aber ehrlich, ich hab mir Mühe gegeben, alles genau so zu berichten, wie es
war. Und nun sehen Sie, was herausgekommen ist dabei.
    Frage: Das macht
nichts. Jeder erzählt, so gut er kann.
    Antwort: Nichts
daran ist ausgedacht, alles genau so gewesen. Glauben Sie mir?
    Frage: Ob ich
Ihnen glaube oder nicht, was ändert das.
    Antwort: Vielleicht
kam Ihnen das alles, wie soll ich sagen, viel zu konstruiert vor, das mit dem
Kamin und den Wolken und den geklauten Kohlköpfen, aber es war, wie ich es
erzählt habe, warum sollte ich etwas dazuerfinden?
    Frage: Machen Sie
sich keine Gedanken! Hier kriegt man noch ganz andere Geschichten serviert.
Alles ist gut. Und dass es manchmal wie ein Krimi klang, kommt daher, dass man
möchte, dass es gut ausgeht, das sagten Sie ja selbst. Nur darum geht es.
    Antwort: Darum geht
es, ganz genau. Das ist mein sehnlichster Wunsch: dass alles gut ausgehen möge.
Wird es das, sagen Sie?
    Frage: Hören Sie
mal. Sie sind doch ein erwachsener Mann, mit Grau an den Schläfen. Es müsste
Ihnen doch längst klar sein, dass das, was Sie hier erzählen, für die
Entscheidungsfindung schlussendlich nicht von Belang ist!
    Antwort: Was soll
das heißen, nicht von Belang? Wieso nicht? Was ist denn sonst von Belang?
    Frage: Ja, was
dachten Sie! Als ob es irgendeine Rolle spielte, wer da Kohl vom Feld klaut und
wo der Koffer abgeblieben ist. Er ist weg, und fertig. Geben Sie es zu, Sie
glauben doch selbst nicht an die Ente und den Hasen und diese rostige Nadel?
    Antwort: Natürlich
nicht.
    Frage: Na also.
    Antwort: Aber ich
frage mich, was ansonsten von Belang ist.
    Frage: Sagen Sie,
das mit der Kritzelei und der schrägen Handschrift aus Bäumen am Ufer,
entspricht das der Wahrheit?
    Antwort: Ja.
    Frage: Lieben Sie
sie?
    Antwort: Ist das
jetzt wichtig fürs Protokoll?
    Frage: Ich
wundere mich immer wieder über eure Naivität. Kreuzt hier auf und glaubt,
jemand könnte was mit euch anfangen. Aus allen Löchern kriecht ihr vor, man
kommt mit den Befragungen gar nicht hinterher. Für wen soll das gut sein, frage
ich mich. Und glaubt dabei an jeden Mist. Hier saß einer, grau wie Sie, sah
Ihnen sogar ähnlich, so ein bisschen abgeschabt und verbraucht, mit den
gleichen ausgeblichenen Augen, wie verwaschen, der behauptete, er hätte in
einer dieser kostenlosen Zeitungen gelesen, wir wären alle

Weitere Kostenlose Bücher