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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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fiel ab, als man den Körper
aufzuheben versuchte. Rumpf und Kopf waren fürchterlich verstümmelt - Ersterer
so sehr, dass er kaum noch etwas Menschenähnliches an sich hatte. Im Zimmer
ließen sich Spuren zuhauf finden: an den Quarkpfannkuchen, die die Mörder
angebissen hatten, musste ihr Speichel kleben; Zigarettenkippen mit
Lippenstift; im Aschenbecher ein abgebranntes Streichholz; Gläser mit
Fingerabdrücken; auch mehrere Fußspuren, jedoch ausschließlich von einem
rechten Schuh, Größe fünfundvierzig - waren die Täter einbeinig? Dennoch
ergaben sich für das ermittelnde Team letztlich keine schlüssigen Indizien und
Anhaltspunkte, und das auf der Einsatzkonferenz verlesene Pressebulletin
beschrieb den Täter als riesigen, grausam wütenden Orang-Utan, der durch das
Fenster getürmt sein musste, worauf dieses wieder zuschlug und sich selbsttätig
verriegelte. Der Kürze halber - es ist ja bald Mittagszeit, der Magen knurrt
schon, und wir sind erst am Anfang, daher ruft auch die Beschreibung der Morde
an Menschen, von denen wir nichts Rechtes wissen, kaum eine Regung hervor,
weder besonderes Mitleid noch Zorn oder heftigen Protest, also Augen zu - nein,
auf! - und durch; der Kürze halber, wie gesagt, lasse ich ein paar weitere
Missgeschicke rund um das Köfferchen weg: den verschlüsselten Brief; die
Zwillinge, zum Verwechseln ähnlich; die Geheimgänge; das von außen eingeschlagene
Fenster - weil nämlich die Splitter drinnen liegen, sonst wäre es umgekehrt;
und auch wenn die Frage offenbleibt, warum der Hund erst so spät anschlug, ob
der Täter ihm womöglich bekannt war, komme ich gleich zu Ihren abschließenden
Aussagen und zur finalen Verfolgungsjagd, bei der die etwas schwächlich aufgezäumte
Story ihren Höhepunkt erlebt. Sie fliehen mit dem Diplomatenkoffer,
dessentwegen sich das ganze Tamtam überhaupt ereignet, über ein Feld mit rosa
blühendem Buchweizen und blauem Flachs, aber stopp, an dieser Stelle stockten
Sie und gaben korrigierend zu Protokoll, dass Ihnen doch eher ein staubiger Weg
durch ein Erdbeerfeld erinnerlich sei, aufgrund der Hitze sei der Erdbeergeruch
sehr intensiv gewesen. Hinter Ihnen die tödlichen Verfolger - die Ordnungshüter
von der einen Seite, die Mafia von der anderen, auch wenn es zwischen denen,
wie Ihnen klar sein dürfte, keinen Unterschied gibt - und vor Ihnen auf einmal
ein Fluss, randvoll gefüllt mit Zeit, mit vielen Spiegelbildern obenauf. Ein
Baumknorren ist hüfttief ins Wasser gestiegen und fängt mit dem ausgestellten
Ellbogen einen Kohlweißling. Hinter den Büschen ein Junge, der angelt. Wirft
den Haken weit aus, das biegsame Ende der langen Rute pfeift durch die Luft,
der Köder klatscht auf das Wasser, Kreise breiten sich aus in der Zeit. Ein
Tischtennisball kommt durch sie ins Hüpfen, während er gemächlich-gemessen ans
Ufer treibt. Irgendwo ein Stück flussabwärts knurrt ein Wolf, meckert eine
Ziege, dazu das Knarren einer Rudergabel. Am Ufer Gestrüpp, von Mücken
umschwärmt. Die Spinne fängt Morgenfrische in ihren Netzen, legt sich einen
Vorrat davon an für den Herbst. Einmal angetippt, rollt die Kühle die
Spinnfäden entlang in den Himmel. Ein paar majestätische Wolken hängen reglos
über dem Fluss, im Vordergrund schleppen die Datschenbewohner säckeweise
Kohlköpfe vom Feld. Wer sich nicht erwischen lässt, ist kein Dieb, so das
Gesetz, das sie mit der Muttermilch aufgesogen haben. Jemand hat den Deckel
eines Konzertflügels in seinen Zaun eingebaut. In dessen Schatten ringelt sich
ein Schlauch, vom Wasser schwer. Was das Pärchen da im Sand am
gegenüberliegenden Ufer treibt, ob sie sich küssen oder künstlich beatmen, ist
von hier aus schlecht auszumachen. Darüber nachzudenken bleibt auch gar keine
Zeit, denn die Eingreiftruppe hinter Ihnen ist schon in Hörweite: »Der Herrgott
weiß, wohin er uns führt, wir erfahren es am Ende des Weges!«, schreien sie,
und: »Nicht dass das Leben einmal enden muss, ist das Schreckliche, sondern
dass es womöglich nie wieder anfängt!«, skandieren ihre gellenden Stimmen im
Chor. Sie ziehen Ihre Schuhe aus, damit das Schwimmen leichter fallt, und
steigen mit einem Bein ins schwarze Wasser, es geht sogleich bis zum Knie.
Halme glitschen unter der Sohle, Blasen steigen auf und platzen, es riecht
faulig. Sie ziehen das zweite Bein nach; schaukelnd und über die Wellen hüpfend
kommt der kleine weiße Ball genau auf Sie zugeschwommen. Sie werfen sich ins
Wasser. Doch das Ufer, das zunächst nur

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