Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
Vom Netzwerk:
zu, doch ich weiß, dass ich auch das überleben werde.
Plötzlich sehe ich mich auf dem Begräbnis - im Dämmerlicht, im Schnee. Jemand
sagt: Möge die Erde ihr leicht sein. Ich werfe einen gefrorenen Sandklumpen in
die Grube, in die sie sie hineinversenkt haben. Er schlägt hart auf und prallt
ab, es klingt hohl. Als hätte ich einen Stein nach der Toten geworfen, zum Lohn
für all ihre Liebe. Mir werden die Augen feucht, aber da ist nichts zu machen,
es wird so kommen, das Leben wird ohne sie weitergehen müssen. So, und als
Nächstes wage ich mich an die Vorstellung, ich könnte dich verlieren.
Doch schon bei der Überlegung, was dir
widerfahren, welches Unglück dir zustoßen könnte, wird mir schwarz vor Augen,
alles in mir krampft, selbst die Kaumuskeln zieht es zusammen von dieser
einschießenden Angst vor der plötzlichen Leere, frostiger Einsamkeit. Im Nu bin
ich kein Mensch mehr, nur noch ein weggeworfener Strumpf. Auf nächtlicher
Müllhalde. Im Winter.
    Frage: Es ist
heiß. Wir sollten die Decke wegnehmen. So... Hast du das damals eigentlich wahr
gemacht, sag mal? Die Hunde freigelassen am letzten Tag?
    Antwort: Natürlich
nicht. In den Käfigen hatten sie wenigstens eine Bleibe. Sonst wären sie
vergiftet worden allesamt... Du, ich hatte noch so viel zu erzählen vor, und
nun liege ich bei dir und habe alles vergessen. Fällt dir nicht noch irgendwas
ein?
    Frage: Einmal
sprachst du davon, dass du lange glaubtest, Kinder kämen aus dem Po zur Welt,
weil du als Kind in den Sommerferien auf dem Dorf gesehen hattest, wie einem
Pferd das Fohlen unter dem Schwanz hervorrutschte.
    Antwort: Wahrscheinlich
habe ich dir mit meiner Liebe die Luft genommen. Sie wurde dir einfach zu viel.
Das gibt es: dass einer nichts ahnend drauflosliebt, und der andere kriegt von
dieser Liebe Atemnot. Plötzlich glaube ich vor Sehnsucht nach dir zu sterben,
rufe an, du sagst: Ich kann jetzt nicht mit dir reden!, und legst auf. Ich rufe
wieder an. Du legst wieder auf. Also wieder ich, so geht das endlos weiter. Du
begriffst nicht, dass mir ein: Ich liebe dich! zu hören genügt hätte. Dann
hätte ich nicht gleich wieder anrufen müssen. So aber steigerte ich mich hinein
bis zur Raserei und brachte auch dich auf die Palme. Du schriebst an einem
Roman, der nicht enden wollte, lasest mir stückweise daraus vor, ich verstand
nichts, fand es aber großartig. Du hättest mir die Installationsanleitung für
deine Waschmaschine vorlesen können, mir wäre auch das gigantisch vorgekommen.
Einmal, du hattest dir gerade notiert, wie ich eine weiße Maus am Schwanz aus
der Schublade ziehe und eine ganze Traube weiterer Mäuse an ihr hängt, alle mit
diesen Preiselbeeraugen, da sagtest du: Sonst wirst du eines Tages verschwunden
sein, aber wenn ich dich aufschreibe, bleibst du.
    Frage: Du hast
bloß gelacht: Wohin denn verschwunden? Und was, wenn du dein Notizbuch in der
U-Bahn liegen lässt?, fragtest du. Dann ist Sense! Dass du es nicht begreifen
willst: Ein Haar von mir, das auf dem Kissen zurückbleibt, ist realer als all
deine Sätze zusammengenommen! - so hast du gesagt.
    Antwort: Wenn ich
an unsere Zukunft dachte, und das tat ich die ganze Zeit, so wurde mir angst
und bange. Sich zum ersten Mal zu verlieben und diese Liebe gleich durch das
ganze Leben zu schleppen - das ging doch nicht. Alles muss einmal ein Ende
haben, nicht wahr. Und ich spielte eine neue Runde des »Weg-denk«-Spiels mit
mir selbst. Bis ich verstand, dass ich damit nur das Unglück anzog. Indem ich
es mir ausmalte, um mich davor zu fürchten, holte ich es mir ins Haus. So brach
ich mir zwar nicht das Bein - aber den Arm. Lief herum mit dem Gips in der
Schlinge. Man konnte gut damit Nüsse knacken. Und auch als dann Mama starb, war
alles so, wie ich es vorausgeahnt hatte: der verschneite Friedhof im
Dämmerlicht, das Möge-die-Erde-ihr-leicht-sein. Ich warf den vereisten
Sandbrocken in die Grube, in die man sie gerade versenkt hatte. Hart und hallend
schlug er auf dem Sargdeckel auf, prallte ab wie eine Nuss. Und als du mich
verließest, habe ich geheult, wie ich es schon kannte: von dem Hund im Käfig,
den man in der Kälte hatte sitzen lassen. Plötzlich konnte ich Mama verstehen,
wusste, wovor sie sich jedes Mal in eine neue Liebe hatte retten wollen: vor
dieser Eiseskälte. Allein zu bleiben mit sich selbst, Aug in Aug mit dieser
kosmischen Einsamkeit - das ist nicht drin. Also musste sie tagtäglich vor
Liebe sterben, um nicht an der Angst vor dem Eiskäfig zu

Weitere Kostenlose Bücher