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Schischkin, Michail

Schischkin, Michail

Titel: Schischkin, Michail Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Venushaar
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die Gerüche im Treppenhaus
stimmen überein. Die gleiche Klingel. Chloe öffnet - sieht aus wie Chloe, nur
irgendwie fremd. Zu wem wollen Sie?, fragt sie. Daphnis sieht einen
Polizeimantel mit Schulterklappen im Flur am Haken hängen. Er weiß nicht, was
er sagen soll. Eine männliche Stimme aus der Küche: Wer ist da? Was will er? -
Weiß nicht, wohl wieder ein Bettler, antwortet Chloe über die Schulter. Stimme:
Tritt ihm in den Arsch, das Essen wird kalt! - Aber erkennst du mich denn
nicht?, bringt Daphnis mit trockenen Lippen hervor. Chloe verneint. Ich bin
doch dein Daphnis!, sagt Daphnis. Chloe: Sind Sie verrückt? Daphnis ist mein
Bräutigam, der sitzt dort in der Küche und ruft mich zum Essen. Ich hab ihn
lange genug gesucht, mein ganzes Leben lang, und bin froh, ihn gefunden zu haben!
Wir wollen heiraten - so wie in einem Traum geweissagt, wenn auch in einer ganz
anderen Geschichte. Daphnis: Aber in der sind wir doch! Ich muss bis Freitag
ein Mittel gegen den Tod gefunden haben. Und ich dachte, vielleicht ist es der
Ring? Von dem du erzählt hast, weißt du nicht mehr, da kam irgendein Schulhort
vor. Chloe zieht schnell die Hand hinter den Rücken. Alles Unsinn, sagt sie,
die Unsterblichkeit fängt zwischen den Beinen der Frau an. Mit diesen Worten
schließt Chloe die Tür. Wozu, ließe sich natürlich fragen, diese Fülle
nebensächlicher, überflüssiger Personen? Die Geschichte ist klein, sie langt
nicht für alle. Gut, die wichtigen Handschuhe kommen nicht aus ohne all die
Kellner, Zeitungsverkäufer, Pförtner, Hotelboys, Strandfotografen, Küchenstimmen
und Polizeimäntel, wer will das bestreiten. Es ist angerichtet! - den Auftritt
muss man ihnen einfach lassen. Das Übrige wozu? Nehmen wir noch einmal diesen
Fotografen: schwarz-gold blitzender Mund, das reinste Niello. Wer braucht den?
Wozu müssen wir von seiner Ahnung wissen und der über all die Jahre anhaltenden
Angst, es könnte plötzlich an der Tür klingeln, und auf der Schwelle stünde
seine Tochter, die er nie gesehen hat, als erwachsene Frau? (Wie alt sie
inzwischen ist, muss er sich immer wieder an den Fingern abzählen.) Wozu
wissen, dass er irgendwann einmal Äpfel fotografieren wollte wie Man Ray, und
es kam nichts dabei heraus? Wenn er auf seiner Frau liegt, stellt er sich die
vor, die vorigen Sommer bei ihnen auf der Datscha wohnte, sieht wieder mit
geschlossenen Augen, wie sie den hinabgerutschten Slip mit dem einen Fuß vom
Knöchel des anderen streift, sieht ihre kräftigen Gesäßbacken von der Berührung
zurückzucken und sich zusammenkneifen, dass keine Zungenspitze dazwischen
passt, sieht, wie sie vor ihm pinkelt, mit stoßweisem Strahl, und der Sand
feucht und hart wird. Die Frau des Fotografen weiß längst, dass ihr Mann sie
hintergeht - manchmal nachts, den Kopf auf den Ellbogen gestützt, schnuppert
sie an ihm und riecht fremdes Parfüm, doch sie hat sich mit der Rolle der
Gehörnten, aber Klügeren abgefunden. An der Wand hängt das Foto ihres kleinen
Bruders: Soldat, ein Held, in Ausübung seines Dienstes ums Leben gekommen, in
Wahrheit aber im Straßengraben an seinem Erbrochenen erstickt. Daneben ein
Foto der Drillinge, die ihre Schwester geboren hat. Drüben hinterm Zaun hört
man die aserbaidschanische Nachbarin mit dem Briefträger reden, sie spricht
schlecht Russisch - über einen Monat, wollte sie sagen, heraus kam: ein Mond
und ein bisschen. Den Sommer über haben sie ihre Zimmer früher immer an
Urlauber vermietet; einer von ihnen, ein Dozent aus Kursk, war dabei, ein
Wörterbuch zu erstellen, schnitt sich an einer Scherbe am Strand den Fuß auf,
fuhr mit dem Bus ins Krankenhaus, der Bus verunglückte, blieb auf einem
Bahnübergang stecken, und nachher fanden sich diese Blätter mit den
Wortkolonnen auf den Marmeladengläsern wieder - wie in alten Zeiten schraubte
seine Frau keinen Deckel auf, sondern deckte einen Bogen Papier darüber und wickelte
eine Schnur darum. Einmal hatte ein Bildhauer die gesamte untere Etage belegt,
er arbeitete im Garten, plötzlich ein Regenguss. Bitte helfen Sie mir, die
Büste muss auf die Terrasse, schnell! Sie schleppten sie zu zweit, er glitt
aus, die Büste ging zu Bruch. Sein Sohn hat einen mathematischen Verstand: In
irgendeiner zufälligen Zahlenfolge, sagen wir einer Autonummer, sieht er zum
Beispiel neunzehn hoch drei. Im Gedächtnis geblieben ist dem Fotografen, wie
einmal ein Onkel, Mutters Bruder, zu Besuch war - der ging kein einziges Mal
baden, zog nie das Hemd aus;

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