Schismatrix
erfassen, obwohl ihm hinterher nur die Erinnerung an die weiße Lust des Begreifens übrigblieb. Dieses Gefühl kam einem Glaubenserlebnis recht nahe.
Es verging ein langer Augenblick. Dann kehrte er wieder ins Hier zurück. »Verzeih, Kitsune. Was sagtest du gerade?«
»Kannst du dich noch erinnern, Abélard? Einmal sagte ich zu dir, daß die Ekstase besser sei, als Gott zu sein.«
»Ja, ich erinnere mich.«
»Ich habe mich geirrt, Darling. Gott zu sein ist besser.«
Die Unterbringung Vera Constantines verdeutlichte recht genau, wie stark Kitsune ihr mißtraute. Die junge Shaper-Clanfrau hatte seit Wochen unter Hausarrest gestanden. Ihre Behausung war eine Tripelcella aus Stein und Eisen und lag außerhalb der weltverzehrenden Umwucherungen Kitsunes.
Sie saß vor einem wandplanen Market-Monitor und verfolgte eifrig auf einem dreidimensionalen Raster die Transaktionsströme. Sie hatte nie vorher Börsengeschäfte getätigt, aber Abélard Gomez, ein netter junger Zikader, hatte ihr einen finanziellen Einstieg ermöglicht, nur so zum Zeitvertreib. Und da sie keine Ahnung hatte, hatte sie auf das Börsengeschäft jene Grundsätze der atmosphärischen Dynamik angewandt, die sie auf Fomalhaut-IV gelernt hatte. Seltsamerweise schien das zu funktionieren, denn sie machte eindeutig Gewinn dabei.
Ihre Tür entriegelte sich und schob sich auf. Ein alter Mann kam herein; er war hochgewachsen und hager und trug gedämpfte Zikadensachen: langen Mantel, dunkle Paffenhosen, edelsteinbesetzte Ringe über weißen Handschuhen. Das gekerbte Gesicht war von einem Bart umrahmt, und ein versilbertes Krönchen aus stilisierten Blättern hob sich von den silbersträhnen-durchzogenen schulterlangen Haaren ab. Vera erhob sich aus dem Steigbügelsessel und verneigte sich in einer Nachahmung zikadischer Reverenz. »Sei gegrüßt und willkommen, Kanzler.«
Lindays Augen fuhren forschend durch die Zelle. Die straffe Stirn verknotete sich in leichter Verwirrung. Er wirkte auf der Hut, nicht vor ihr, sondern vor etwas anderem, das gleichfalls noch im Raum war. Und dann fühlte auch sie es, und sie wußte, daß das Numen, die göttliche Präsenz , wieder anwesend war. Und unwillkürlich, obwohl sie wußte, daß es sinnlos sein würde, blickte sie sich hastig danach um. Etwas zuckte aus dem äußeren Sichtbereich ihres Auges und entzog sich.
Lindsay lächelte sie an. Dann blickte er weiter prüfend durch den Raum. Sie wollte ihm nichts von der göttlichen »Nähe« sagen. Er würde nach einer Weile ganz von selbst aufhören, danach zu suchen, genau wie alle anderen auch. »Danke«, sagte er verspätet. »Ich darf doch annehmen, es geht dir gut, Captain-Doktor.«
»Deine Freunde, Doktor Gomez und Vizesekretär Nakamura, waren sehr aufmerksam. Ich bedanke mich für die Bänder und die Geschenke.«
»Eine Kleinigkeit«, sagte Lindsay.
Auf einmal hatte sie Furcht, ihn zu enttäuschen. Seit den fünfzehn Jahren, die seit dem Duell verflossen waren, hatte er sie nicht mehr gesehen. Damals war sie noch sehr jung gewesen - knapp zwanzig. Sie wies noch immer deutlich die für die Kellands charakteristischen Wangenbeine und das spitze Kinn auf, aber die Zeit hatte sie dennoch verändert, und überdies war sie genotypisch eben nicht rein. Sie war eben nicht der Klon von Vera Kelland.
Der ärmellose Kimono enthüllte unbarmherzig die Veränderungen, die ihr die Jahre als Gesandte bei den Aliens zugefügt hatten. Zwei Kreislaufdukte beulten das Fleisch an ihrem Hals ein, und ihre Haut hatte noch immer etwas seltsam Wachsartiges. In der Botschaft auf Fomalhaut hatte sie über Jahre hin im Wasser gelebt.
Lindsays, graue Augen wanderten unablässig umher. Sie war überzeugt, daß er das Numen spüren konnte, die unheimliche alles durchsetzende Gegenwart fühlte. Früher oder später würde er dieses Gefühl des Unbehagens ihr zur Last legen, und dann war ihre Chance, seine Gunst zu gewinnen, vertan. Er sprach unkonzentriert: »Ich bedaure, daß sich die Angelegenheit nicht rascher regeln läßt... Wo es sich um einen Systemübertritt handelt, empfiehlt es sich in der Regel, nichts zu überstürzen.«
Sie glaubte, darin eine verdeckte Anspielung auf das Schicksal von Nora Mavrides zu erkennen. Sie fröstelte. »Ich sehe, was du meinst, Kanzler.« Vera hatte keinen offiziellen Rückhalt beim Constantine-Clan, denn man konnte sich eine Denunziation innerhalb des Ring Councils nicht erlauben. Das Leben in Skimmers Union war hart in diesen Tagen: Mit
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