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Schismatrix

Schismatrix

Titel: Schismatrix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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dem Verlust des Status als Capitale waren ein gemeiner Kampf um die noch verbliebenen Fetzchen von Macht und die Jagd nach Sündenböcken einhergegangen. Und Angehörige des Constantinischen Clans waren bevorzugte Opfer dieser Entwicklung.
    Einst war Vera der Liebling des Clansbegründers gewesen, sie war von Constantine mit Geschenken und einer etwas mühseligen Zuneigung überhäuft worden. Doch ihr Clan hatte zu viele zu schlechte Spiele gespielt. Philip Constantine hatte ihre Zukunft aufs Spiel gesetzt - für die mögliche Chance, Lindsay zu töten. Und es war fehlgeschlagen. Der Clan hatte schwere Opfer gebracht, um Veras Diplomatenlaufbahn zu finanzieren, jedoch sie war ohne die Reichtümer, mit denen man gerechnet hatte, nach Hause zurückgekehrt. Überdies hatte sie sich in einer Weise verändert, von der ihr Clan bestürzt war. Also war sie inzwischen abgeschrieben und konnte geopfert werden.
    Als die Macht der Familie zu schwinden begann, hatten sie in Furcht und Schrecken vor Lindsay gelebt. Er hatte das Duell überlebt, und nach seiner Wiederkunft war er noch mächtiger geworden als vordem. Nichts schien ihm Einhalt gebieten zu können; er war ein Heros, eine überlebensgroße Gestalt. Sein Angriff, mit dem sie gerechnet hatten, war jedoch nie erfolgt, und so gelangten sie zu der Überzeugung, daß auch Lindsay Schwächen aufweisen müsse. Und durch sie, durch die Versagerin Vera, gedachten sie, seine Gefühle auszuspionieren und sich die Liebe oder die Schuldgefühle, die er wegen Vera Kellands mit sich herumschleppte, zunutze zu machen. Dies war ihr jüngstes, ihr äußerst verzweifeltes Spiel. Wenn das Glück ihnen hold war, konnten sie Asyl und Immunität gewinnen. Oder Rache nehmen. Oder alles zusammen.
    »Warum wendest du dich an mich?« fragte er. »Es gibt viele andere Orte. Ein Leben als Mechanist ist keineswegs so übel, wie der Ring Council es hinstellt.«
    »Aber die Mechs würden uns gegen unsere eigenen Leute benutzen. Sie würden unseren Clan vernichten wollen. Nein, nein, der Czarina-Kluster ist schon am besten. Im Schatten eurer Königin ist Schutz und Heil. Allerdings natürlich nicht, wenn du deinen Einfluß gegen uns einsetzt.«
    »Ich verstehe«, sagte Lindsay und lächelte. »Meine Freunde trauen euch nicht. Wir können recht wenig dabei gewinnen, begreifst du? C.-K. wimmelt jetzt schon von Überläufern. Und euer Clan teilt unsere posthumane Religionsideologie nicht. Und was noch schlimmer ist, es gibt zahlreiche Personen in C.-K., für die der Name Constantine ein Greuel ist. Frühere Detentisten, Kataklysmatiker und so ... Du verstehst, welche Schwierigkeiten sich da ergeben.«
    »Diese Zeiten liegen hinter uns, Kanzler. Wir führen nichts Übles im Schilde, gegen keinen.«
    Lindsay schloß die Augen. »Wir könnten einander hier mit Zusicherungen die Ohren vollplappern, bis die Sonne schwanger wird -« (anscheinend war das ein Zitat eines andern) - »und würden einander doch niemals überzeugen. Also müssen wir einander entweder vertrauen ... oder wir tun es eben nicht.«
    Seine Unverblümtheit ließ düstere Erwartungen in ihr aufsteigen. Sie wußte nicht, was tun. Das Schweigen dehnte sich bis fast zur Peinlichkeit. »Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht«, sagte sie schließlich. »Ein altes Familienstück.« Sie schritt durch die Zelle und hob einen rechteckigen Drahtkasten auf, über dem eine pfirsichfarbene Schutzdecke aus Samt lag. Sie zog die Decke von dem Käfig und zeigte ihm den Schatz ihres Clans: eine AlbinoLaboratoriumsratte. Das Tier rannte in bizarrer, stetig sich wiederholender Exaktheit in seiner Kammer auf und ab. »Das ist eines der frühesten Geschöpfe, denen jemals die körperliche Unsterblichkeit zuteil wurde. Ein antikes Exemplar aus dem Labor. Es ist über dreihundert Jahre alt.«
    Lindsay sagte: »Ihr seid sehr großzügig.« Er hob den Käfig hoch und untersuchte ihn. Die darin befindliche Ratte, deren Lernkapazität durch Überalterung vollkommen erschöpft war, schien auf schlichtes rotationsmäßiges Repetitivverhalten reduziert zu sein. Das Zucken der Schnauze, selbst die Augenbewegung, alles war in höchstem Grade stereotypisiert.
    Der alte Mann betrachtete das Tier mit suchendem Blick. Vera wußte, er würde keine Antwort erhalten. Da war nichts in den rosa Gallertaugen der Ratte, nicht einmal ein allerdumpfestes Aufflackern animalischer Wachsamkeit. »Hat man sie je aus dem Käfig herausgelassen?« fragte er.
    »Seit Jahrhunderten nicht,

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