Schismatrix
steril und von Sauerstoffstößen erfüllt war.
»Verehrlicher Großahn, ich gehe fort«, sagte Lindsay. Der alte Mann hob eine derart stark arthritische Hand, daß die verkrüppelten, dickgeschwollenen Knöchel noch mehr aufquollen, sich kräuselten und plötzlich zu einem zischenden nadelbestückten Röhrengeflecht aufbrachen. Das schlug peitschend auf Lindsay ein, krallte sich fest, stach zu, saugte. Lindsay riß den Mund auf, um zu schreien ...
Die Beleuchtungskörper waren weit weg. Er stapfte über die Fläche des zusammenstückelten Glasfensters. Er landete auf dem Agrarpaneel. Im Wind wehte ein schwacher Hauch von milchsaurer Verwesung heran. Er war in der Nähe der Sauermarschen.
An den Rändern des Sumpfes bewegten sich Lindsays Schuhe mit pfeifendem Schmatzen durch die genetisch mutierten Sichelbinsen. Im Unterwuchs das zirpende Sägen von Heuschrecken, und ein chitingepanzertes Wesen von Rattengröße huschte vor ihm davon. Philip Constantine hatte seine Belagerungsbastionen gegen den Verfall und die Verrottung errichtet.
Der Wind wurde stark böig. In der Dunkelheit klatschten die Bahnen an Constantines Zelt laut. Neben den überlappenden Eingangsbahnen glommen auf Staken zwei Beleuchtungskugeln in Bioluminiszenz, gelblichschwach.
Constantines Flachzelt beherrschte den Grenzbezirk, den Binsengrasgürtel, von dem in östlicher Richtung die Sauermarsch und dahinter, abgeschirmt, die fruchtbaren Getreidefelder lagen. Dieses Niemandsland, auf dem er gegen die Verseuchung ankämpfte, zirpte und rasselte von den Lebensgeräuschen des neugezüchteten Ungeziefers aus seinem Labor.
Aus dem Zeltinneren hörte Lindsay das erstickte Schluchzen Constantines. »Philip!« sagte er. Und ging ins Zelt. Constantine saß an einem hölzernen Werktisch vor einem breiten Labortisch aus Metall, der voller Shaper-Glaszeug war. In Stapeln angeordnete Mustersortimente von Insekten der Versuchsreihe standen wie in Bücherregalen vor ihm. Kugellampen auf schlanken flexiblen Postamenten verbreiteten ein trübes gelbliches Licht.
Constantine wirkte schmächtiger als je zuvor. Er verkroch sich beinahe in seine knabenhaften hochgezogenen Schultern unter dem Laborkittel. Die runden Kulleraugen waren blutunterlaufen, die Haare zerrauft.
»Vera ist verbrannt«, sagte Constantine. Er bebte stumm am ganzen Körper und vergrub die Hände in den gummibehandschuhten Händen. Lindsay rutschte auf die Bank neben ihn und legte Constantine seinen langen knochigen Arm um den Rücken.
Da saßen sie beisammen, wie sie es vor so langer Zeit so oft getan hatten. Seite an Seite, wie es früher zwischen ihnen üblich gewesen war, als sie in ihrem halbgeheimen Ring-Council-Slang Insiderwitzeleien tauschten und einen aufgemotzten Inhalationsstengel hin- und zurückreichten. Sie hatten auch ihr Lachen geteilt, das leise Gelächter, das aus der gemeinsamen Verschworenheit auf ein Ziel hin entsteht. Sie waren jung gewesen, und sie hatten sämtliche Gesetze der Uralten übertreten, und nach einigen langen Zügen aus dem Inhalator waren sie gescheiter gewesen, als irgendein menschliches Geschöpf es berechtigterweise sein durfte.
Constantine lachte glückselig glucksend, und sein Mund war voller Blut...
Lindsay erwachte mit einem scharfen Ruck, öffnete die Augen und sah, daß er sich in der Sanitätsstation der Red Consensus befand. Er klappte die Augendeckel wieder zu und pennte sofort wieder weg.
Lindsays Wangen waren naß von Tränen. Er hätte nicht sagen können, wie lange sie da schon schluchzend beisammensaßen. Es kam ihm wie eine sehr lange Zeit vor. »Können wir hier offen sprechen, Philip?«
»Sie brauchen hier keine Polizeispitzel«, antwortete Constantine bitter. »Dafür haben sie unsere ehelich angetrauten Weiber.«
»Philip, es tut mir so leid, daß das da zwischen uns gekommen ist.«
»Vera ist tot«, sagte Constantine. Er schloß die Augen. »Du und ich, wir haben das gemeinsam getan. Wir haben ihren Tod zusammengebastelt. Diese Schuld haben wir gemeinsam. Und jetzt kennen wir unsere Stärke. Und gleichzeitig haben wir auch herausgefunden, worin wir verschieden sind voneinander.« Er trocknete sich die Augen mit einer runden Filterpapierscheibe.
»Ich habe sie belogen«, sagte Lindsay. »Ich erklärte ihnen, daß mein Onkel an Herzversagen gestorben sei. Die Leichenschau ergab das. Und ich ließ sie in dem Glauben, um dich zu decken. Du hast ihn umgebracht, Philip. Aber mich wolltest du töten, mich. Mein Onkel ist nur statt
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