Schismatrix

Titel: Schismatrix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling

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wuselte hastig fort.
    Lindsay schlief nackt, bis auf die Schamkapsel. Alle männlichen Bürger trugen das Schüsselchen, denn es verhinderte, daß die männlichen Keimzellenapparate herumbaumelten oder gar in der Schwerelosigkeit verletzt werden könnten. Eine weitere Kakerlake schüttelte Lindsay aus seinem Jumpanzug (ordentlich in Rot und Silber), wo das Biest sich ein Schlemmermahl an Lindsays abgestoßenen Hautschuppen gegönnt hatte.
    Er kroch in seine Kleider und blickte sich im Gymnastikraum um. Zwei der Senatoren schliefen noch. Die velcrobesohlten Schuhe klebten an den Wänden, die tätowierten Leiber waren fötal zusammengekrümmt. Ein Kakerlak saugte Schweiß vom Hals der Senatorin.
    Ohne diese Schaben mußte die Red Consensus mit der Zeit in schimmligem Detritus aus abgestoßenen Hautpartikeln und aufgeschichteten ausgeschwitzten und ausgeatmeten Flüssigausscheidungen ersticken. Lysin, Alanin, Methionin, Carbaminoverbindungen, Milchsäuren, Geschlechtspheromone, ein beständiger Ausfluß organischer Dünste sonderte sich unsichtbar, bei Tag und Nacht, aus dem menschlichen Körper ab. Darum waren die Kakerlaken eine überlebenswichtiger Bestandteil des Ökosystems im Raumschiff, und sie beseitigten auch noch zusätzlich Nahrungsbrösel und leckten Fettstoffe auf.
    Die Kakerlaken hatten fast vom Beginn der Raumfahrt an die Vehikel durchgeistert, da sie zu zäh waren und zu anpassungsfähig, als daß sie dabei krepiert wären. Doch inzwischen waren sie immerhin gut-gezähmt; sie waren sogar stubenrein und gehorchten den chemischen Ködern und Kontrollen der Zweiten Volksvertreterin genau. Lindsay hingegen verabscheute sie noch immer; er vermochte ihnen nicht zuzusehen, wenn sie gräßlich umherwuselten oder schwerelos durch die Luft asselten, ohne von dem tiefen Gefühl durchdrungen zu werden, daß er an einem anderen Ort besser dran wäre. An irgendeinem anderen Ort.
    Nachdem er sich in seinen Anzug gewürgt hatte, kurvte er durch die Filamentenschotts zwischen den Decks. Die Plastikluken öffneten sich strähnig bei seiner Annäherung und schlossen hinter ihm die Maschen wieder. Das organische Gewebe war dünn, aber luftdicht und unter Druck so hart wie Stahl. Eine ShaperKonstruktion. Wahrscheinlich geklaut, dachte Lindsay.
    Er wanderte, von der Musik der Instrumente angelockt, in die Kontrollzentrale. Hier hielt sich ein Großteil der Besatzung auf. Der Präsident, zwei Mitglieder des Repräsentantenhauses und Oberrichter »Justice 3« schauten sich mittels Stirnband-Videoglotzern eine Shaper-Propagandasendung an.
    Der Oberste Richter war an einer hüfthohen Konsole festgezurrt und überwachte an Monitoren die Sendungen aus dem fernen Weltraum und steuerte sie gegen das Eigendröhnen des Raumschiffs aus. Der Chief Justice war das bei weitem älteste Mitglied der Besatzung. Er beteiligte sich nie am »Carnaval«. Diese Tatsache, sein Alter und sein Amt hatten aus ihm den unbestechlichen Schiedsrichter an Bord gemacht.
    Lindsay sprach laut gegen die Kopfhörer des Mannes an. »Irgendwas Neues?«
    »Der Belagerungszustand dauert noch an«, sagte der Mech, ohne sichtliche Befriedigung. »Die Shapers halten durch.« Leeren Blicks starrte er auf die Anzeigepaneele. »Sie jubeln noch immer über ihren Sieg in der Concate-Nation.«
    Justice 2 kam in die Kommandozentrale. »Will jemand Ketamin haben?«
    Die Rep 1 nahm die Videoglotzer ab. »Taugt es was?«
    »Ganz frisch aus dem Chromatographen. Hab's grad selber gemacht.«
    »Zu meiner Zeit, da war die Concate-Nation wirklich eine Macht«, sagte der Chief Justice. Da er die Kopfhörer noch aufhatte, hatte er die beiden Frauen weder gesehen noch gehört. Etwas an der Sendung hatte aus seinem Gedächtnisabgrund eine tiefsitzende uralte Empörung aufsteigen lassen. »Zu meiner Zeit umfaßte die Concate-Nation die gesamte zivilisierte Welt.«
    Durch lange Gewöhnung abgebrüht, achteten die Frauen überhaupt nicht auf ihn, sondern brüllten noch lauter. »Also, wieviel?« fragte Rep-1.
    »Vierzigtausend fürs Gramm?« begann die Richterin den Handel.
    »Vierzigtausend? Ich geb dir zwanzig.«
    »Nun mach mal halblang, Mädchen! Du hast mir zwanzigtausend bloß für die Nagelpflege abgeknöpft.«
    Lindsay hörte nur mit halbem Ohr zu. Er überlegte, ob er sich in das Geschäft einschalten könne. Die FMD verfügte noch immer über ihre eigenen Landesbanken, und obschon die Währung enorm inflationär war, zirkulierte sie noch immer als das einzige legale