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Schismatrix

Schismatrix

Titel: Schismatrix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Council aufs Spiel gesetzt hatten. Dank der sofortigen anrüchigen Berühmtheit, die er als »Fremdenfreund« erlangt hatte, war es Lindsay möglich geworden, den Mythos der Investoren aufgehen zu lassen wie einen Teig. An dem Schwindel trug er ebenso große Schuld wie alle anderen.
    Aber er hatte sogar die Investoren über ihre rudimentären Ohren gehauen. Der Name, den ihm die Investoren gaben, war bislang noch immer ein pfeifendes Rascheln und Keuchen, das »Künstler« bedeutete. Noch immer besaß Lindsay unter den Investoren Freunde; oder doch wenigstens Leute, die er mit Sicherheit amüsieren zu können glaubte.
    Die Investoren verfügten über etwas dem menschlichen Humor recht Verwandtes, eine gewisse kindlich-sadistische Lust und Befriedigung am Austricksen. Diese Skulptur, die sie ihm zum Geschenk gemacht hatten und die in seinem Haus einen Ehrenplatz einnahm, konnte durchaus nichts weiter sein als zwei frostzerfressene Fladen aus Aliensexkrementen.
    Und Godot allein mochte wissen, welchem besoffenen Alien sie sein persönliches Gußkunstwerk angedreht hatten. Es war im Grunde nur richtig, daß ein junger Mensch wie Wells die Wahrheit wissen und sie verbreiten wollte. In schöner Unkenntnis der Konsequenzen seines Tuns, sogar ohne daß ihn diese irgendwie berührt hätten; einfach weil er zu jung war, um mit einer und als eine Lüge zu leben. Nun ja, die Täuschungen würden noch eine Weile lang standhalten. Trotz der Neuen Generation, die während des Investorenfriedens herangezogen worden war und die sich mühte, den Schleier wegzureißen, ohne zu begreifen, daß dieser Schleier die Kulisse war, auf der man ihnen ihre Welt aufgemalt hatte.
    Lindsay hielt Umschau nach seiner Frau. Er fand sie in ihrem Büro, in einer Geheimkonferenz mit ihrer Verschwörertruppe von ausgebildeten Diplomaten. Prof.-Col. Nora Mavrides verfügte über weitreichenden Einfluß in Goldreich-Tremaine. Früher oder später wanderten alle Diplomaten, die sich in der Hauptstadt aufhielten, in ihren starken Schlagschatten. Sie war die populärste Loyalistin ihrer Klasse und erfüllte die Rolle der Teamleaderin.
    Lindsay verbarg sich unter dem bequemen Mantel seines eigenen Mythos. Soweit ihm bekannt war, stellte er den letzten Überlebenden der Ausländischen Sektion dar. Sollten noch weitere nichtshaperische Diplomaten überlebt haben, dann rührten sie jedenfalls kaum die Werbetrommel für sich.
    Um der Höflichkeit Genüge zu tun, trat Lindsay kurz in die Kammer, doch wie gewöhnlich machte ihn das glatte Kinesikprogramm der Leute nervös. Er verzog sich also ins Rauchzimmer, wo er auf zwei bühnensüchtige Fans stieß, die gerade von den Mitwirkenden in Vetterlings Pastoralstück Hirtenmonde mit diesem neuesten Laster des Rauchens vertraut gemacht wurden.
    Hier verfiel Lindsay sogleich in seine Theatermanager-Rolle. Sie glaubten, was sie an und in ihm sahen: einen älteren Mann, etwas retardiert und begriffstutzig vielleicht, ohne den genialen Funken, den andere besaßen, aber keineswegs kleinlich - und mit einem prickelnden Beigeschmack von Rätselhaftigkeit. Und aus dieser Undurchsichtigkeit entstand - Glamour; Doktor Abélard Mavrides war durchaus in manchem ein Trendsetter geworden.
    Er schwebte von einem Gespräch zum nächsten: genetische Ehepartnerkabalen, Intrigen im Ring-Sicherheitsdienst, StädteRivalitäten, akademische Doktrinen, Auseinandersetzungen mit den Tagarbeitern, Kunstrichtungen ... alles nur Fäden in ein und demselben Gewebe. Der Schimmer auf diesem Stoff, der glatte Glanz des Sozialmusters hatte Lindsay in ein Routineverhalten gelullt. Manchmal bekümmerte ihn das träge Gefühl friedlicher Gleichmütigkeit, das er empfand. Wie stark war das altersbedingt? Die mürbe Milde des Abbaus, des Verfalls? Lindsay war einundsechzig Jahre alt.
    Das Hochzeitsfest ging zu Ende. Die Schauspieler verschwanden zu ihren Proben, Senioren verkrochen sich in Richtung auf ihre altmodischen Gehege, die Kinderhorden stoben auseinander und verschwanden in den ihrer jeweiligen Genlinie zugeordneten Kinderkrippen. Endlich konnten sich Lindsay und Nora in ihr Schlafgemach zurückziehen. Noras Augen glänzten - ein bißchen angesäuselt. Sie saß auf der Bettkante und löste die Haftel an der Rückseite ihres Festkleides. Sie zerrte die Robe nach vorn, und mit einem Zischen löste sich das ganze labyrinthische Schnurgewebe von ihrem Rücken ab.
    Nora hatte ihre erste Verjüngungstherapie mit achtunddreißig Jahren gemacht, also vor

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