Schismatrix
zwanzig Jahren, und eine zweite im Alter von Fünfzig. In dem rosigschimmernden Licht der Bettlampe glänzte ihre Haut glasglatt. Lindsay holte sich aus dem obersten Fach seines Nachtkästchens aus dem gefütterten Etui sein altes Videomonokel. Nora zog die schlanken Arme aus den perlbestickten Ärmeln ihrer Robe und hob sie dann, um ihren Hut abzuschnüren. Lindsay zeichnete es auf.
»Du ziehst dich nicht aus?« Sie machte eine Drehbewegung. »Abélard, was machst du denn da?«
»Ich will eine Erinnerung an dich haben, so wie du jetzt bist«, sagte er. »In diesem Augenblick der Vollkommenheit.«
Lachend warf sie den Kopfputz beiseite. Mit einigen wenigen gekonnten Bewegungen riß sie die edelsteinbesetzten Haarnadeln aus ihrer Frisur und löste mit einer Kopfbewegung einen Schwall von dunklen Flechten. Lindsay spürte Erregung. Er legte das Kameramonokel beiseite und schlüpfte aus seinen Hüllen. Sie liebten einander, langsam und ohne Hast. Lindsay allerdings hatte an diesem Abend den Stachel der Sterblichkeit zu spüren bekommen, und das wirkte sich anspornend auf ihn aus. Plötzlich packte ihn Leidenschaft; in sein Liebesspiel mischte sich heißes drängendes Verlangen, und sie ging darauf ein. Sein Höhepunkt kam heftig, und während der jagenden Herzschläge des Orgasmus schaute er fest auf seine stählerne Hand auf ihrer seidenglatten Schulter. Danach lag er nach Luft ringend da, und das Pochen seines Herzens dröhnte laut in seinen Ohren. Ein wenig später rollte er auf die Seite. Nora seufzte, räkelte sich und lachte. »Das war wunderbar. Ich bin richtig glücklich, Abélard.«
»Ich lieb dich, Liebste«, sagte er. »Du bist mein Alles im Leben.«
Sie stützte sich auf einem Ellbogen auf. »Fehlt dir auch nichts, Liebster?«
Lindsays Augen brannten. »Ich hab gestern abend mit Dietrich Ross gesprochen«, sagte er zögernd. »Der hat Zugang zu einem Verjüngungsprogramm und möchte, daß ich es mitmache.«
»Oooh?« Sie schien entzückt. »Was für eine freudige Überraschung.«
»Es ist nicht ungefährlich.«
»Hör zu, mein Schatz: Altsein , das ist riskant. Alles übrige ist bloß eine Frage der richtigen Taktik. Das einzige, was du brauchst, ist so ein mittlerer Dekatabolismus; damit wird jedes Labor fertig. Du brauchst gar nichts besonders Aufwendiges. Damit könnten wir gern noch zwanzig Jahre warten.«
»Aber es bedeutet, daß ich mein Inkognito preisgeben muß, zumindest einer Person gegenüber. Ross sagt ja, die Leute dort sind diskret, aber ich traue ihm nicht. Vetterling und Pongpianskul haben sich vorhin eine seltsame Szene geliefert. Und Ross hat sie dazu hochgereizt.«
Sie flocht einen ihrer Zöpfe auf. »Du bist nicht alt, Lieber, du hast das nur zu lange vorgegeben. Deine Vergangenheit wird bald kein Problem mehr sein. Die Diplomaten erhalten ihre früheren Privilegien zurück, und du bist inzwischen außerdem ein Mavrides. Auch Regent Vetterling ist ein Ungeplanter, und keiner hält ihn deshalb für minderwertig.«
»Aber sicher tun sie das.«
»Na, vielleicht heimlich, ein bißchen. Aber darum geht es ja gar nicht. Du hast doch nicht deswegen auf einmal davon zu reden begonnen. Du hast Säcke unter den Lidern, Abélard. Hast du auch wirklich brav deine Antioxidanten eingenommen?«
Lindsay schwieg einen Augenblick lang. Er stützte sich mit dem nie müde werdenden Prothesenarm im Bett auf. »Es ist meine Sterblichkeit«, sagte er dann. »Früher mal hat mir das so viel bedeutet. Sie ist alles, was mir noch von meinem alten Leben geblieben ist, von meinen alten Überzeugungen ...«
»Aber man bewahrt sich doch nicht dadurch, indem man zuläßt, daß man alt wird. Du solltest jung bleiben, wenn du unbedingt deine alten Gefühle und Empfindungen von früher erhalten willst.«
»In dieser Beziehung gibt es nur einen Weg. Den Weg, den Vera Kelland gegangen ist.«
Noras Hände erstarrten mitten in der halb aufgeflochtenen Haarsträhne. »Verzeih mir«, sagte Lindsay. »Aber das hängt immer noch irgendwie da ... der Schatten ... Ich hab Angst, Nora! Denn wenn ich wieder jung werde, dann wird sich alles verändern. Alle die Jahre, in denen wir beide so viel Positives, soviel Lust und Spaß gehabt haben. Aber ich bin hier irgendwie erstarrt, vereist, schön sicher in deinem Schatten, geborgen, bei dir - und glücklich. Wenn ich wieder jung wäre - wenn ich dieses Risiko eingehen würde -, es hieße, daß ich mich stellen und mich bloßstellen müßte. Aufmerksamen Blicken
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