Schiwas feuriger Atem
hergeschafft worden waren. Weit hinten ragten die roten Türme der Abschußrampen.
»Sir?«
»Ja, Cooper?«
Der Sergeant, ein Mann schon in reiferen Jahren, deutete auf eine Stelle des Zaunes. »Checkpoint Gamma, Sir. Ich glaube, sie wollen ihn stürmen.«
Stirnrunzelnd versuchte Saperstein, sich über die Lage klarzuwerden. »Was sagt Leutnant Stevens?«
Sergeant Cooper zuckte die Achseln. Er war ein großer, rotgesichtiger Südstaatler, der schon mehrmals die Einberufung zum Offizierslehrgang abgelehnt hatte und dessen Vorliebe für Bier wohlbekannt war. Er trug keines seiner zahlreichen Ordensbänder auf seiner grünen Uniformbluse. »Er sagt, es kann ein Ablenkungsmanöver sein, aber er glaubt, daß er im Graben gegenüber ein paar Leitern erkannt hat. Sie müssen sie über Nacht herangeschafft haben.«
Saperstein seufzte. »Jesus, was für ein ekelhafter Einsatz! Okay, lassen Sie die Gastrupps dort in Stellung gehen, aber die Zaunpatrouillen bleiben hier. Und machen Sie Captain Miller entsprechend Meldung, ja?«
»Jawohl, Sir.«
Der Mob hinter dem Zaun wurde plötzlich laut, eine Welle von Geräuschen, die aus den hinteren Reihen nach vorn flutete. Saperstein trat auf die Stoßstange eines Jeep, um besser sehen zu können. Er grinste den bleichen jungen Schützen hinter dem 0.50-Maschinengewehr ermutigend an. »Immer mit der Ruhe, mein Junge.«
»Äh … jawohl, Sir.«
Wie viele mochten dort sein? Hunderttausend oder mehr? Die Gabriels verteilten sich in Haufen und Gruppen längs des Zaunes, so daß die Soldaten sich ebenfalls weit auseinanderziehen mußten. Doch direkt vor dem Haupttor waren mindestens zwanzigtausend.
Zwanzigtausend Amerikaner. Saperstein kaute an der Unterlippe. Wie leicht wäre es, einer von ihnen zu werden, allen Eigenwillen aufzugeben, zu vertrauen, zu glauben, daß es zum Besten diene. Doch das konnte er nicht, er wußte es genau. Er war einer von denen, die durchhalten. Die fallen, aber nicht aufgeben. Solange noch eine Chance bestand, daß die NASA etwas tun konnte – irgend etwas – solange mußte die Stellung gehalten werden, so lange mußte er dafür sorgen, daß sie ihre Chance bekam.
Seine Gedanken flogen zu Jackie und den Kindern, da unten in St. Petersburg. Ob es ihnen gut ging? Ob sie überhaupt noch lebten? Er schob diese Gedanken von sich. Der Lärm draußen hatte plötzlich einen Höhepunkt erreicht und war dann verstummt. In weiter Ferne vernahm Saperstein dumpfes Gemurmel, dann begeisterte Rufe: »Bruder Gabriel! Bruder Gabriel! Er kommt! Bruder Gabriel kommt!«
Saperstein trat von der Stoßstange herunter. Mechanisch tastete er nach der 0.45er im Halfter.
30. April: Kollision minus 26 Tage
Eigentlich war es gar kein so großer Meteor. Etwa fünfzigtausend Tonnen Nickeleisen. Er schlug genau südlich vom Chili-Golf ein, westlich Tsingtao in der Shantung-Provinz. Die Explosion zerbarst jede Fensterscheibe im dreihundertfünfzig Kilometer entfernten Tientsin. Der Hwong – der Gelbe Fluß – strömte von Süden in den Krater, und eine riesige Flutwelle kam von Norden her aus dem Golf herein. Alle Schiffe im Gelben Meer südöstlich des Einschlags sanken. Station VI berichtete darüber in sachlichem Medienstil.
Schiwa hatte seine Visitenkarte abgegeben.
Ein Schauer kleiner Meteore ging über der Mongolei, der Wüste Gobi und Südsibirien nieder. Die Verluste an Menschenleben und Sachgütern waren relativ gering, doch auf der ganzen Welt wurde eine gewaltige Welle von Emotionen ausgelöst.
Mob rottete sich zusammen. Plünderungen, Vergewaltigungen, sinnloser Vandalismus stiegen sprunghaft an. In Sidney ging die nachviktorianische Wohlanständigkeit in einer Massenorgie zu Bruch, die mit einem Massengebet endete. In Nicaragua berichtete ein Bauernmädchen, es habe die Heilige Jungfrau auf einem Feuerball stehen sehen, und Tausende zertrampelten das Dorf zu Kies, weil sie dort beten wollten. In der Türkei kam ein Selbstmord-Kultus auf, dem sich Tausende anschlossen. Nach ein paar Tagen war er jedoch bereits erloschen, da sich alle Anhänger umgebracht hatten. In Aberdeen in Schottland hielt ein Pfarrer eine Predigt, die alle Leute in weitem Umkreis wild machte: Zu Tausenden zogen sie südwärts mit dem Ziel, den Stein von Scone zurückzuerobern, auf dem einst die schottischen Könige saßen und der sich jetzt unter dem Krönungsstuhl in Westminster Abbey befand. Innerhalb von vier Tagen kamen dabei zwölftausend Menschen um.
Aber die Menschen
Weitere Kostenlose Bücher