Schiwas feuriger Atem
explodierte etwas, und Schreie ertönten. Irgendwo fiel ein Gewehrschuß, im zehnten Stock eines Hauses zersplitterte ein Fenster, und es regnete Scherben. Lisa und Diego drückten sich in einen Ladeneingang, als der tödliche Schauer auf Bürgersteig und Fahrbahn klirrte. »Na«, sagte Diego, »wenn man sie nicht schlagen kann, muß man mitmachen.« Er trat auf den Bürgersteig hinaus Glas knirschte unter seinen Füßen. Er riß die Faust hoch und schrie eine von Bruder Gabriels Lieblingsparolen: »Sie dürfen es nicht! Der Versuch ist Sünde!«
Abgerissene Schreie überall. Lisa trat hinaus und verstärkte mit ihrem Kampfschrei: »Nieder mit den Wissenschaftlern!« den wachsenden Tumult. Zu Diego sagte sie leise: »Ich komme mir wie ein Verräter vor.«
»Laß das. Du mußt überleben. Du bist zu wertvoll.«
»In den Reserveteams sind genügend andere Astronauten.«
»Ach, hol der Teufel die NASA! Mir bist du zu wertvoll. Ich habe dich noch nicht aufgebraucht.«
»Also, das ist das Netteste, was du mir jemals – autsch!« Wieder schmetterte ein Schuß in den Beton über ihnen. Weitere Schüsse knallten. Anscheinend kümmerte sich keine der beiden Gruppen darum, daß ihre eigenen Leute durch Glasscherben und Querschläger gefährdet wurden. Wieder schrie Diego, aber diesmal etwas Unartikuliertes, und sie wurden in den Zusammenstoß der beiden Haufen hineingesogen.
»Ewiger Segen, Bruder«, schrie ein Mann mit weitaufgerissenen Augen. Er hatte ein Stück Stahlrohr in der Hand, mit dem er ohne weiteres durch das Schaufenstergitter die Scheibe einschlug. Die Klebestreifen rissen, und das Fenster brach schmetternd ein. Mit einem orgiastischen Schrei schlug er nochmals zu. Diego zerrte Lisa weg, doch jemand hieb mit einer Holzlatte nach ihm und traf ihn an der Schulter, so daß er in die Knie sank. Lisa war von der brüllenden Masse mitgerissen worden, doch sie kämpfte sich zu Diego zurück und half ihm auf. »Komm weg!« schrie sie und wehrte die Menschen ab. Benommen schüttelte Diego den Kopf, dann stapfte er voraus, um Platz für sie beide zu machen.
Der Mob riß sie mit; Diego versuchte, herauszukommen und eine Seitenstraße zu gewinnen, doch die Menschen waren zu dicht gedrängt und zu unberechenbar. Erst rannten sie die Straße hinunter, dann drehten sie in Richtung auf das Stadtzentrum ab. In der Ferne heulten Sirenen. Plötzlich stand eine Frau mit weitaufgerissenen Augen vor Diego und schwang ein blutiges Fleischermesser.
»Sei gesegnet, Bruder!« Sie wollte zustoßen, aber Diego versetzte ihr einen harten Hieb in die Magengegend. Sie fiel seitlich hin, erbrach sich, und er stolperte über ihre Beine, als die Menge sich weiterschob, ohne auf die gestürzte Frau zu achten.
Ein Armee-Tank erschien ein paar Straßen weiter und bog rumpelnd in die Avenue ein, hinter ihm eine Anzahl Soldaten. Mit abgerissenen Schreien rannte der Mob auf den Tank zu. Ein zweiter Tank tauchte auf, ihm folgten mehrere Truppentransporter, die stoppten und Soldaten mit Schutzhelmen absetzten.
Diego und Lisa wurden mitgerissen, zerschrammt und keuchend. Eine Menschenmenge trennte sie, und Lisa geriet in die Mitte der Straße. Steine und Eisenrohre flogen durch die Luft, schepperten an die Tanks. Die erste Gasgranate detonierte, die Vordersten schwankten und fielen unter dem Knockout-Gas. Diego konnte Lisa nicht mehr sehen und kämpfte sich zur Straßenmitte durch. »Du Mexicano!« brüllte ein riesiger Mann, hieb mit seiner knotigen Faust nach Diego und erwischte ihn seitlich am Hals. Diego schwankte und fiel beinahe, duckte aber den nächsten Hieb ab und versetzte dem Mann einen Karateschlag gegen die Kehle. Noch zwei Gasgranaten detonierten, und in den vorderen Reihen brachen noch mehr Menschen zusammen. Der Tank war bis zu den vordersten auf der Straße liegenden Aufrührern gerumpelt und dort stehengeblieben. Da sah Diego, daß Lisa halb unter zwei bewußtlosen Männern lag und sich nicht rührte. Über Arme und Beine stolpernd, rannte Diego zu ihr.
Wieder blaffte eine Gasgranate, und Diego stürzte. In derselben Sekunde versank er in Schwärze.
Lisa hockte auf der Kante einer Koje in der Unfallklinik des Johnson Space Center und hielt sich den Kopf. Lyle Orr, der unentwegte Public-Relation-Direktor der NASA, bot ihr einen Becher Kaffee. Sie nahm ihn und fragte: »Wo… wo ist Diego?«
»Kommt langsam zu sich. Paar Kratzer, nichts Ernsthaftes. Jack ist bei ihm.«
Lisa nickte und nippte an ihrem Kaffee. Wenn sie die
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