Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
lesen. Das ist nur etwas für Fachleute. Versuchen Sie lieber, sich in Ihre Tochter hineinzufühlen.« Hineinzufühlen? Wie kann ich mich in einen psychisch kranken Menschen hineinfühlen, wenn ich nichts darüber weiß, wie diese Krankheit »von innen« aussieht? Ist es nicht notwendig, sich über psychische Erkrankungen zu informieren, um den Gesundungsprozess sinnvoll unterstützen zu können? Und dann werde ich wütend. Wie kommt diese junge Frau dazu, mir vorzuschreiben, auf welche Art ich mit Lenas Krankheit umgehe?
Ich habe auch gute und einfühlsame Psychiater erlebt. Und ich habe mühsam gelernt, dass wir Angehörigen nicht jedes Wort eines oft auch überlasteten Psychiaters auf die Goldwaage legen sollten. Aber gerade dann, wenn wir erst kürzlich von der psychischen Erkrankung eines Kindes erfahren haben, wenn unser Leben in seinen Grundfesten erschüttert ist und wir auf Information, Hilfestellung und Empathie angewiesen sind, sollten Psychiater und Therapeuten ihre Worte durchaus auf die Goldwaage legen. Trotz allem habe ich auch von Frau D. etwas gelernt. Im Laufe der gemeinsamen Therapiestunden fragt sie mich, warum ich denn nie eine Beschwerde über Lena äußere. Ich bin erstaunt. Warum soll ich mich beschweren, wenn Lena doch so schwer krank ist? »Andere Eltern schimpfen heftig über ihre Kinder, sie nehmen kein Blatt vor den Mund, sie beschweren sich. Oft schreien sich Eltern und Kinder in der Therapiestunde an. Sie sind zu kontrolliert, Frau Berg-Peer. Sie sollten sich einfach gehen lassen und Lena deutlich mit dem konfrontieren, was Sie stört.« Ich kann ihr nicht glauben. Das soll für Lena gut sein? Und spielt es denn in dieser Situation überhaupt eine Rolle, ob ich mich über Lena ärgere? Das arme Kind kann doch nichts dafür, sie ist doch krank. Darauf muss ich doch Rücksicht nehmen. Nein, erklärt mir Frau D., Lena würde es ohnehin spüren, wenn Spannung im Raum stünde. Es sei besser, auszusprechen, was mich stört, als meine Empfindungen zu unterdrücken. Heute weiß ich, dass sie in diesem Punkt recht hatte, aber damals verstand ich nicht, warum das offene, möglicherweise sogar lautstark ausgetragene Aussprechen von Differenzen gut sein sollte, vor allem für einen kranken Menschen. Damals war ich noch bemüht, jede abweichende Meinung oder Kritik zu vermeiden, um die Harmonie oder die Ruhe in unserer Beziehung nicht zu gefährden.
Leider habe ich in den ganzen Jahren danach keine Psychiater mehr getroffen, die mir etwas zu diesen Themen gesagt haben. Das ist schade. Mit etwas mehr Einfühlungsvermögen und Mühe könnten behandelnde Ärzte uns Angehörige zu wichtigen Kooperationspartnern machen. Wir Angehörigen »behandeln« unsere Kinder ebenfalls, auch wenn sie und wir uns das nicht ausgesucht haben. Es wäre doch für die Genesung unserer Kinder sinnvoll, wenn uns wenigstens ein Mindestmaß an Aufklärung zuteilwürde.
Keine Hilfe für Angehörige
1997 bin ich vollkommen überlastet, habe Angst vor der Zukunft und fühle mich dem medizinischen Apparat ausgeliefert. Ich weiß nicht, wie es mit Lena weitergehen wird. Wenn ich nur die richtigen Ärzte, Therapeuten oder Institutionen fände, dann könnte Lena geholfen werden – glaube ich. Allerdings ist es 1997 noch sehr schwierig, sich Informationen über Therapieverläufe und Behandlungsalternativen zu besorgen. Ich bin schon froh, dass ich den Rat einer Angehörigen erhalte, mir selbst einen Therapeuten zu suchen.
Aber mir fehlen nicht nur Informationen, ich würde mir auch mehr Unterstützung von Freunden und Familie wünschen. Viele Freunde ziehen sich zurück, vielleicht fällt es ihnen schwer, mit unserer neuen Situation umzugehen. »Ich komme gerne Weihnachten zu dir, das wäre doch schön, wenn wir zusammen feiern. Ich bringe auch etwas mit«, sagt fröhlich eine alte Freundin zu mir. Als sie erfährt, dass Lena auch da sein wird, hat sie keine Lust mehr zu kommen. »Das wird dann immer so schwierig, wenn Lena dabei ist.« Und wenige meiner alten Freunde, die Lena von Geburt an kennen, besuchen Lena im Krankenhaus. Dabei wäre es so wichtig für sie, nicht immer nur die Mutter zu sehen, sondern auch die Zuneigung anderer vertrauter Menschen zu spüren. Und für mich wäre es eine große Entlastung, wenn ich an einem Tag in der Woche nicht ins Krankenhaus gehen müsste. Vielleicht habe ich zu wenig um Hilfe gebeten. Vielleicht haben viele auch Angst. Angst vor dem schlimmen Wort »Schizophrenie«. Niemand möchte
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