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Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Titel: Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Berg-Peer
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bei einer Geburtstagseinladung einer Person wie Jack Nicholson in Shining begegnen (auch wenn Lena ebenso wie andere psychisch Kranke nicht einmal in wirklich schwierigen Phasen diesen Filmklischees entspricht). Viele Angehörige berichten, dass sich Freunde und Familie entfernen, wenn eine psychische Krankheit diagnostiziert wird. »Da trennt sich die Spreu vom Weizen«, sagt eine Mutter zu mir. »Man weiß dann, wer die wirklichen Freunde sind. Aber man gewinnt auch neue Freunde hinzu.« Ein großes Glück ist es, dass Lenas Freunde ihr die Treue halten. Viele ihrer Freundinnen aus der Kindergartenzeit besuchen sie und erkundigen sich bei mir nach ihrem Zustand.
    Ob ich geholfen hätte, wenn in meiner Familie oder bei engen Freunden so eine Krankheit ausgebrochen wäre? Mit meinen Erfahrungen und meinem Wissen um die unendliche Belastung glaube ich, dass ich es getan hätte. Aber ohne diese Erfahrung? Ich hoffe es.

Was ist, wenn ich nicht mehr lebe?
    Große Sorgen mache ich mir darum, was aus Lena wird, wenn ich nicht mehr lebe. Wer wird für sie da sein, wer hört ihr zu, wer schützt sie? Ich hoffe, dass sie genügend Freunde haben wird, die dauerhaft für sie da sein werden, wenn sie es braucht. Dass sie das vorhandene Unterstützungssystem kennt und die Menschen, die ihr jetzt helfen, ihr dann weiterhin eine Stütze sein werden. Aber ganz lässt mich die Sorge nie los. Lena will das nicht hören, sie ist empört. »Ich bin doch kein Sozialfall, um den man sich kümmern muss. Niemand muss sich um mich kümmern, der dazu keine Lust hat. Die sind doch auch mit ihrem eigenen Leben beschäftigt.« Recht hat sie. Sie ist vernünftiger als ich. Dennoch glaube ich, dass es auch an der Schizophrenie liegt, wenn sich das Umfeld zurückzieht. Niemand würde einen Menschen im Rollstuhl ausschließen, jeder würde sich für einen krebskranken Verwandten interessieren. Nur psychisch Kranke scheinen mit einem Makel behaftet zu sein.

Ordnung herstellen
    Eine psychische Erkrankung bricht wie eine Naturgewalt in eine Familie ein. Alles gerät in Unordnung. Nicht nur Erkrankte leiden unter dem Chaos in ihrem Kopf – auch für Angehörige ist die Ordnung ihres Lebens zerstört. Alle Pläne erscheinen gescheitert. Der Alltag gerät durcheinander. Die Unsicherheit über den Verlauf von Lenas Krankheit erfasst alles, was ich tue, was ich denke und wie ich mit anderen Menschen kommuniziere. Es gibt keine Verhaltensanleitung für Angehörige. Es gibt kein Vorbild. Was darf ich, was mache ich richtig, was falsch? Darf ich überhaupt ein normales Leben weiterleben? Kann ich mich am Leben freuen? Darf ich ein neues Kleid kaufen, zur Kosmetikerin gehen, mich verlieben oder in Urlaub fahren? Ich frage mich, ob ich angesichts der Brutalität dieser Krankheit und des Leidens von Lena nicht auch auf alles verzichten sollte, was »normal« ist.
    Vielleicht ist es ein Glück für mich, dass meine Arbeit mich zur Normalität zwingt. Ich muss funktionieren. Ich muss morgens aufstehen, muss passend gekleidet sein, darf nicht mit verheulten Augen und ungeschminkt auftreten. Ich muss mich auf andere Menschen und deren Probleme konzentrieren. 1997 sehe ich das kaum als Glück: Ich wünsche mir, dass ich das alles nicht müsste. Ich will diese Zwänge los sein, mich in meiner Wohnung verkriechen und nur herauskommen, um mich um Lena zu kümmern. Und ich will wieder Ordnung herstellen. In meiner neuen Wohnung stapeln sich in einem Zimmer auch nach sechs Monaten immer noch Möbel und ungeöffnete Umzugskisten. Mit einem 16-Stunden-Tag komme ich nicht dazu, endlich auszupacken und das Zimmer einzurichten. Ich bin zu erschöpft, ich schaffe es gerade, meine beruflichen Aufgaben mit Besuchen bei Lena zu verbinden – mehr ist einfach nicht möglich. In dieser Zeit entwickelt sich ein großes Bedürfnis in mir, aufzuräumen. Ich habe in allen Bereichen den Wunsch, der Unordnung entgegenzutreten. Ich muss das Chaos eindämmen. Ich will wieder Kontrolle über mein Leben gewinnen.
    Auch bei meinen Besuchen in der Jugendpsychiatrie habe ich das Bedürfnis, Ordnung zu schaffen. Ich will die Jugendlichen daran hindern, sich anzuschreien. Ich beginne, die Jalousien hochziehen, damit die Sonne ins Zimmer kommt. Ich leere Aschenbecher, rücke Zeitschriften gerade, lege die Fernbedienung vor den Fernseher und ermahne Lena, die Asche nicht auf den Boden fallen zu lassen. Ich glaube, dass diese äußere Ordnung für die Jugendlichen wichtig sein muss. Und dass ein

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