Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
zugesetzt, dass ich sie wieder in die Psychiatrie bringen muss. »Schön, Sie wiederzusehen, Lena«, ruft die nette Oberärztin munter, als ich mit Lena auf die Station komme. Ich bin fassungslos. Es ist schön, dass Lena wieder auf die Station muss? Aber Lena guckt die Oberärztin dankbar an. »Die ist wirklich nett«, schluchzt sie, als wir in ihrem Zimmer den Schrank einräumen. »Ich bin froh, dass ich auf ihrer Station bin.« Nun verstehe ich. Für Lena ist es wichtig, dass sie bei all ihrem inneren Chaos hier auf ein vertrautes Gesicht trifft. Und es ist wichtig, dass sie als Mensch willkommen ist. Es ist November. Später erfahre ich, dass die dunklen Monate, vor allem November und Dezember, eine besonders kritische Zeit für psychisch Kranke sind. Wir verbringen Weihnachten mit Käsekuchen, Kaffee und Weihnachtsliedern in der Psychiatrie. Die Station ist für mich mittlerweile zur Normalität geworden. Ich kenne die meisten Patienten und ihre Lebensgeschichten. Ich sehe, wie sehr sie leiden, wie stark ihre rätselhaften Krankheiten in ihr Leben eingreifen. Sie sind nicht gefährlich, man muss keine Angst vor ihnen haben. Sie sind freundlich, manchmal abwesend und in sich gekehrt. Manchmal ein wenig hektisch. Oft freuen sie sich, wenn sie reden können.
Nach sechs Wochen darf Lena wieder nach Hause. Es geht ihr besser, aber wir beide trauen der Ruhe nicht immer. Ich beobachte sie, und sie beobachtet sich. Lena hat das Vertrauen in ihre eigenen Reaktionen verloren. Wenn sie laut lacht, ist das schon der Beginn einer Manie? Kann sie einfach traurig sein, oder muss sie dann an eine Depression glauben? »Schizophrenie ist scheiße, Mama«, sagt sie, als wir abends zusammensitzen. Ich stimme ihr zu. Lena tut keine unvernünftigen Dinge, nur der Alltag fällt ihr noch schwer. Sie steht zu spät auf, sie hat Schwierigkeiten, pünktlich zu einem Termin fertig zu sein. Sie ist umständlich, verliert die Geduld, ist leicht gereizt, bricht schnell in Tränen aus. Mal ist es ein U-Bahn-Kontrolleur, der unfreundlich war, oder jemand hat sie auf der Straße angerempelt, oder sie hat gerade wieder etwas verloren und hat Angst, dass ich böse bin. Ich gewöhne mich nicht leicht an diese Schreckensanrufe, lerne jedoch allmählich, dass Lenas Erschütterungen zwar tief und heftig sind, aber auch schnell wieder abklingen, wenn ich nur eine Weile ruhig mit ihr rede.
Drehtürpsychiatrie
Für Lena beginnt die Zeit der »Drehtürpsychiatrie«. Krankenhausaufenthalte wechseln sich mit Phasen in eigenen Wohnungen ab. Ich lerne, die Zeichen zu deuten, wann es wieder so weit ist. In einer besonders kritischen Situation rufe ich Lenas Therapeuten an, weil ich an einem Freitagabend nicht weiß, wo sie ist, und weil ich mir Sorgen um sie mache. Ob er weiß, wo sie ist? Ob er helfen kann? Ich mache den Fehler, bei diesem Telefonat vor Aufregung zu schluchzen. »Nun suchen Sie sich doch endlich selbst einen Therapeuten«, kommt die wenig freundliche Antwort. »Sie übertreiben es wirklich mit Ihrer Sorge um Lena.« Spätnachts wird Lena von ihren Freunden zu mir gebracht. Sie ist vollkommen durcheinander, und wir fahren sie wieder in die Klinik. Damals kam mir dieser Therapeut unmenschlich vor. Heute weiß ich, dass er für diese Situation einfach nicht zuständig ist. Und im sozialpsychiatrischen System ist Zuständigkeit wichtig. Aber man muss erst zu einer professionellen Angehörigen werden, bis man sich im sozialpsychiatrischen Dschungel auskennt.
1998
Christoph und die Haschischpfeife
Es ist ein Glück, dass Lena immer eine große Neugier und starken Bildungshunger hatte. Ich freue mich mit ihr, dass der Volkshochschullehrgang unmittelbar bevorsteht. Die Ärzte sind anderer Meinung: »Sie überfordern Lena«, sagt ihr behandelnder Arzt Dr. K. zu mir. »Sie müssen nicht sich selbst zum Maßstab machen. Lena muss einfach nur lernen, mit ihrer Krankheit umzugehen.«
»Bei Lenas schlimmer Erkrankung muss sie einen Beruf erlernen, mit dem sie später ihren Lebensunterhalt verdienen kann«, hatte die zugewandte Frau Dr. E. zu mir gesagt. »Sie braucht kein Abitur, das würde sie nur überfordern.« Ich warte gespannt auf ihre Vorschläge. »Lena sollte Töpfern lernen, damit kann sie dann später selbst Geld verdienen.«
Ich weiß, dass die Ärztin es gut meint und Lena vor Überforderung und einem Rückfall schützen will. Nur glaube ich heute nicht mehr, dass es für psychisch Erkrankte gut ist, wenn man sie mit zwanzig oder
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