Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Titel: Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Berg-Peer
Vom Netzwerk:
wiedersehen. Du kannst nichts dafür, dass du krank bist, das weiß ich. Aber du kannst Verantwortung dafür übernehmen, dass du wieder gesund wirst. Die dritte Möglichkeit ist, dass du ab jetzt Christoph nicht mehr triffst, nicht kiffst und vor allem deine Tabletten nimmst. Überleg es dir. Ich gehe jetzt und komme in zwei Stunden wieder. Dann sagst du mir Bescheid.« Ich knalle die Tür hinter mir zu und sitze zwei Stunden heulend in einer Pizzeria vor Rotwein und Spaghetti. Als ich zurückkomme, empfängt mich eine freundliche Lena, die mich umarmt und mir mitteilt, dass ich ja recht hätte.
    Wir versuchen, ein normales Leben zu führen. Ich lerne mit ihr, mache mit ihr Schulaufgaben, höre sie ab. Ich stehe Tag und Nacht für sie zur Verfügung. Trotz ihres immer noch labilen Zustandes bleibt sie eisern dabei, ihren Abschluss zu machen.

    Die nächsten Jahre stehen vor allem im Zeichen der Unterstützung von Lena. Dabei bleibt es nicht aus, dass ich meine sozialen Kontakte vernachlässige und Freunde sich von mir entfernen. Manche sind verärgert, dass ich mich zu selten melde. Ich verstehe das, aber oft habe ich einfach nicht mehr die Kraft, anzurufen oder mich mit jemandem zu treffen. Lena braucht meine ganze Aufmerksamkeit. Sie ist in dieser Zeit liebevoll und anhänglich und nimmt meine Hilfe an. Ich habe das Glück, dass meine Klienten, anders als manche Freunde, freundlich und rücksichtsvoll zu mir sind. Sie wissen Bescheid und akzeptieren Unterbrechungen. Trotz sorgfältiger Camouflage tauche ich manches Mal mit rotgeweinten Augen bei Kunden auf. Aber wann immer ich von meiner Situation erzähle, erfahre ich Verständnis und Hilfsbereitschaft. Und in vielen Fällen kommt sogar als Antwort: »Meine Schwester hatte auch eine Episode«, »Ich war selbst für ein Jahr im Krankenhaus«, »Mein Vater auch«, »Mein bester Freund hat auch eine bipolare Erkrankung«. Als ich während eines Seminars für Führungskräfte außerhalb von Berlin wieder einen Hilfeanruf aus dem Krankenhaus bekomme, besteht der Vorgesetzte darauf, dass ich umgehend dorthin fahre. Sie würden das Seminar in der Zwischenzeit selbst weiterführen, sich aber freuen, wenn ich zur geplanten Abschlussfeier wieder dabei wäre. Niemals habe ich in meinem Beruf eine abwertende Äußerung gehört oder Stigmatisierung erfahren. Beabsichtigte oder auch unbeabsichtigte Abwertungen haben Lena und ich eher im privaten Umfeld erlebt.

2000
    Wieder ein Stück Normalität!
    Nach ihrem erneuten Krankenhausaufenthalt kann Lena einen Tageskurs für junge Mütter an der Volkshochschule beginnen, wofür ich der verständnisvollen Sachbearbeiterin heute noch danke. Sie schließt dort neue Freundschaften und fühlt sich wohler als im Abendkurs, aber es ist eine brüchige Stabilität. Lena braucht viel Zuspruch, und kleine Bemerkungen oder Geschehnisse können sie schnell aus der Fassung bringen. Ihre Wohnungssituation hat sich nicht geändert. Lena findet jede neue Wohnung schön und freut sich darüber, aber es dauert keinen Monat, da versinkt ihre Wohnung wieder im Chaos. Ich kann es nicht mit ansehen, deswegen gehe ich an den Wochenenden zu ihr, räume auf und putze. Für meine eigene Wohnung stelle ich eine Putzfrau an.

»Ist doch ein nettes Mädel!«
    Oft werde ich gefragt, wie sich Schizophrenie denn bei Lena auswirkt, woran man sie erkennt und was daran für mich so schwer zu ertragen sei. Es ist fast unmöglich, psychotisches oder manisches Verhalten zu erklären. Ich beobachte, dass Lena in akuten Krankheitsphasen von Geräuschen und Empfindungen gequält wird und fürchterliche Angstzustände erlebt. Ich erlebe sie als aggressiv und abwertend mir gegenüber. In manischen Phasen wirkt sie überheblich und ist keinem Argument zugänglich. Sie fühlt sich groß und stark, sie kann alles und darf alles. Es fällt mir schwer, ihrer Verwahrlosung zusehen zu müssen. Manche ihrer Verhaltensweisen erinnern an die Pubertät. Lena ist überempfindlich, rücksichtslos, egozentrisch, irrational, anspruchsvoll, verständnislos, stur, laut, launisch, kindlich und wütend. Sie schwankt zwischen Hass auf mich und übergroßer Liebesbedürftigkeit. Vereinbarungen werden nicht eingehalten, Versprechungen sind im nächsten Moment vergessen. Nichts ist berechenbar. Ich werde in Atem gehalten und bin oft vollkommen überfordert. Ich habe den Eindruck, dass ich nichts richtig machen kann. Und dennoch verlangt Lena meine absolute Loyalität, wenn sie Trost und Rat

Weitere Kostenlose Bücher