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Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Titel: Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Berg-Peer
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fünfundzwanzig Jahren in einen Schonwaschgang steckt, damit sie dauerhaft nicht gefährdet sind. Die meisten Menschen mit Psychiatrieerfahrung sind nicht immer krank. Sie haben ihre Krankheitsepisoden, dann aber wieder Phasen, in denen sie vielleicht etwas weniger belastbar, aber ansonsten »normal« sind und in denen sie sich eine intellektuelle oder qualifizierte handwerkliche oder künstlerische Aufgabe wünschen. Töpfern bereitet vielen Menschen Freude und mag einzelnen begabten Menschen sogar ihren Lebensunterhalt sichern oder zumindest dazu beitragen. Aber es psychisch Kranken als eine realistische Berufsoption anzubieten, halte ich für weltfremd.
    Ich bin dafür, dass man ihnen eine geeignete Ausbildung ermöglicht, auch auf die Gefahr hin, dass es zum Rückfall kommt. Ein schulischer Abschluss oder auch eine weiterführende Ausbildung – wenn es der Erkrankte will – sind immer gut für ihn. Er hat ein Ziel, er weiß, wofür es sich lohnt zu lernen, »mit der Krankheit umzugehen«. Das Ziel ist aber nicht, »mit der Krankheit umzugehen«, sondern das Ziel ist eine Teilhabe am »normalen« gesellschaftlichen Leben, und dafür kann es sich lohnen zu lernen, mit der Krankheit umzugehen. Ein »normales« Leben kann schon bedeuten, dass man alleine in einer Wohnung leben oder selbst einkaufen und sich versorgen kann, es kann aber auch bedeuten, dass man einen schulischen Abschluss nachholt. Oder einen Teilzeitjob annimmt. Oder einer ganz normalen Arbeit nachgeht. Oder eine Beziehung eingehen kann.
    Und Lena hat ihr Ziel gefunden, sie will weiterlernen. 1998 beginnt sie mit ihrem Volkshochschullehrgang zur mittleren Reife. Es macht ihr Spaß, und sie hat Erfolg. »Siehst du, Mama, ich bin doch nicht blöd!«, zeigt sie mir stolz ihre Eins in Chemie. Sie hat die Aussagen der Ärztin über ihren Intelligenzquotienten immer noch nicht vergessen. In der Abendschule findet sie Freundinnen, sie treffen sich, kochen und lernen zusammen. Ich atme auf.

    Dann lernt Lena Christoph kennen. Christoph war auch in England, die beiden sprechen Englisch miteinander und fühlen sich den andern Schülern überlegen. Mein Eindruck von Christoph ist, dass er sich gern überlegen fühlt, unentwegt redet und Lena mit seiner Präsenz erdrückt. Aber Lena ist verliebt. Christoph wohnt fast dauernd bei uns, und Lena ist glücklich. Bis ich eines Abends feststelle, dass dem Glücklichsein noch ein bisschen nachgeholfen wird: Auf Lenas Bett liegt eine große Haschischpfeife.
    Ich bin wütend. Als die beiden abends nach Hause kommen, erkläre ich, dass er sofort aus der Wohnung fliegt, wenn ich die beiden noch ein einziges Mal beim Kiffen erlebe. Christoph rastet aus. »Lena, das müssen wir uns nicht anhören. Komm, wir packen unsere Sachen und gehen zu meinem Vater.« Er zieht die schluchzende Lena hinter sich her. Ich versuche, mit ihr zu reden, aber Christoph lässt ihr keine Wahl, sie kann sich gegen ihn nicht wehren. Lena verlässt weinend mit ihm die Wohnung. Die Tür knallt zu, ich bin allein. Ich setze mich hin und atme tief durch. Ich weiß nicht, ob ich weinen oder erleichtert sein soll. Es war alles zu aufregend in der letzten Zeit, ich hatte zu viel Angst, schlechte Vorahnungen bei Christoph. Jetzt ist das Schlimmste passiert. Lena ist weg. Ein Grundrauschen von Angst bleibt. Alles in mir ist angespannt, und ich warte auf die nächste Katastrophe.
    Und sie kommt. Mein Handy klingelt. Ich entschuldige mich bei dem vor mir sitzenden Klienten. Ein atemloses Geschluchze und Geschreie am anderen Ende, ich kann Lena kaum verstehen. Panik erfasst mich, aber ich zwinge mich zur Ruhe. Ich bitte Lena, mir ganz ruhig zu erklären, was passiert ist. »Mami, der Vater von Christoph hat mich rausgeschmissen. Er hat getobt und geschrien, und Christoph und er haben sich geprügelt, und dann hat der Vater meine Sachen in den Hausflur geschmissen.« Lena weint und kann kaum weiterreden. »Und dann hat er mich angeschrien und gesagt, ich wäre eine durchgeknallte, verrückte Kuh und ich solle abhauen. Christoph hat ihm eine runtergehauen … Mami, kannst du mich abholen … bitte.« Ich kann kaum atmen, aber ich frage Lena ruhig, wo sie jetzt sei. Sie solle dort stehen bleiben, ich käme sofort. Ich rase durch die Stadt und finde Lena weinend auf ihrem Rucksack sitzend an einer Straßenecke in einer gutbürgerlichen Gegend. Neben ihr steht entspannt ein rauchender Christoph. Lena fällt mir um den Hals, sie sei so froh, dass ich da sei.

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