Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
spielen. Karim war ein einfühlsamer und verantwortungsbewusster Mann. Er kam aus einer südafrikanisch-indischen Familie. Wir lernten uns beim Studium in Kairo kennen und verliebten uns, als er mich im Arabischunterricht um einen Radiergummi bat. Trotz des erheblichen Widerstands seiner indischen Großfamilie heirateten wir. Karim hat viel für mich aufgegeben. War der Bruch mit seiner Familie eine zu große Belastung für ihn?
Wir hatten wenig Geld, studierten beide erst in Kairo, dann in Berlin, arbeiteten nebenbei hart und waren überglücklich, als unser Wunschkind Lena geboren wurde. Aber immer wieder kam es zwischendurch zu diesen nicht vorhersehbaren Ausbrüchen und schwer zu ertragenden Stimmungsschwankungen. Irgendwann liefen wir alle nur noch auf Zehenspitzen, aus lauter Sorge vor einem neuen Wutausbruch oder einem totalen Rückzug, bei dem er mit seiner düsteren Stimmung unsere Wohnung verdunkelte. Ich konnte es nicht mehr aushalten. Ich wollte nicht täglich Angst haben, nach Hause zu kommen. Und ich wollte auch Lena vor diesen heftigen Stimmungsschwankungen schützen. Als sie acht Jahre alt war, entschied ich mich schweren Herzens zur Trennung. Vielleicht litt auch Karim an einer psychischen Störung. Vieles, was ich inzwischen über psychische Krankheiten weiß, spricht dafür. Viele von Lenas Verhaltensweisen erinnern mich an sein Verhalten. Und ich erinnere mich, dass auch in seiner Familie ein Zwillingspärchen an Schizophrenie litt. Vielleicht hätten ihm Medikamente helfen können. Wir haben achtzehn Jahre lang zusammengelebt, die meisten davon sehr glücklich. Warum habe ich es mit seinen Stimmungsschwankungen so lange ausgehalten? Weil lange Zeit die schönen Aspekte unserer Ehe überwogen und ich mich nicht von ihm trennen wollte. Aber vor allem, glaube ich heute, weil ich an nichtnormale Verhaltensweisen gewöhnt war.
Wie meine Mutter!
Nicht nur Karim zeigte schwer erträgliche Verhaltensweisen, auch meine Mutter hatte eine psychische Erkrankung, die mein Leben mitbestimmte. Aber lange Zeit wusste ich nicht, worunter meine Mutter litt. Die Krankheit meiner Mutter wurde diagnostiziert, als ich vierzehn war. Man sprach davon, dass diese Krankheit »manisch-depressiv« hieß, aber sie blieb geheimnisumwoben. Ich bekam nur mit, dass meine Mutter öfter für längere Zeit ins Krankenhaus gebracht wurde und blass und schwach zurückkehrte. Ich konnte keine wirkliche Erkrankung an ihr feststellen. Sie war wie immer, manchmal traurig, aber auch auf- und anregend, kreativ und fröhlich. Ihre Traurigkeit erklärte sie mir damit, dass sie an dieser Krankheit leide. Es war ihr wichtig, zu betonen, dass ihre manische Depression endogen sei. Damals begriff ich nicht, was das bedeutete, aber ich glaube, es bedeutete für sie, dass sie an ihrer Krankheit nicht schuld war. Sie betrachtete ihre Krankheit als ein Versagen, wozu die Reaktionen der Umwelt sicher beitrugen.
Heute, fünfzig Jahre später, erlebe ich bei Lena, dass auch sie ihre Krankheit als Versagen ansieht. Betrachtet jemand Diabetes als persönliches Versagen? Ich glaube, dass der Unterschied darin liegt, dass psychische Krankheiten gesellschaftlich immer noch anders und negativer bewertet werden als somatische Krankheiten. Ich selbst konnte mir schon damals nicht vorstellen, dass jemanden eine Schuld an seiner Krankheit treffen könne, weder die Mutter meiner Mutter noch sie selbst. Und auch damals hat mir niemand erklärt, was für eine Krankheit das war und wie man darauf reagieren könnte, wie man der Betroffenen helfen und sich gleichzeitig selbst schützen könnte.
Jahrelang hatte ich nicht mehr an die Erkrankung meiner Mutter gedacht. Als Lenas Diagnose gestellt wurde, lebte meine Mutter bereits seit fünfzehn Jahren nicht mehr. Für mich war damit auch die Krankheit verschwunden. Aber im September 1996 holte sie mich wieder ein. Dennoch dauerte es, bis mir klar wurde, dass es zwischen den beiden Krankheiten einen Zusammenhang geben könne oder müsse.
Es scheint ausreichend belegt zu sein, dass psychische Krankheiten in Familien weitergegeben werden können. Sie müssen nicht zum Ausbruch kommen, aber es besteht eine größere Wahrscheinlichkeit, wenn es eine familiäre Vorbelastung gibt.
Ich glaube heute, dass es zur Krankheit meiner Mutter gehörte, dass sie einen großartigen Kosmos entwarf, in dem sie die tragende Rolle spielte. Diese Rolle passte zu ihr. Sie konnte das Leben für ihre Umgebung zu einem aufregenden Abenteuer
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