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Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Titel: Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Berg-Peer
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wieder eine Hoffnung. Aber Lena gibt nicht auf. Nach Weihnachten kehrt sie an ihren Arbeitsplatz zurück und beendet erfolgreich ihr soziales Jahr. Ein Berufswunsch ergibt sich jedoch daraus für sie nicht. »Es nimmt mich zu sehr mit, die Menschen dort sterben zu sehen, Mama«, sagt sie mir. »Ich möchte etwas mit Menschen machen, aber mit gesunden Menschen. Mit Krankheit habe ich ohnehin genug zu tun.«
    Wieder kommt eine Zeit, in der ich Lena in meiner Firma beschäftigen muss. Es wird immer schwieriger für uns. Es ist einfach zu eng – wir beide brauchen Abstand. Lena kann vollkommen »normal« und vergnügt sein, aber in der nächsten Minute aufbrausen und mir schlimme Dinge an den Kopf werfen. Sie ist anhänglich, aber dann auch wieder feindselig und manchmal sogar bösartig. Ihre Stimmungen ändern sich von einer Sekunde zur anderen. Ich erfahre, dass diese Stimmungsschwankungen vor allem bei bipolar erkrankten Menschen vorkommen. Manie und Depression können sich abwechseln, wobei mir viele Betroffene berichten, dass die Depressionen länger anhalten als eine manische Phase. Bei Lena sind depressive Phasen kaum zu erkennen. In ihren schwierigen Phasen ist sie von unglaublicher Energie, macht Pläne und traut sich alles zu. Jeder Versuch von mir, sie zu bremsen, wird mit Vehemenz und Aggressivität abgewehrt. Ich habe gelesen und gehört, dass Erkrankte in ihren manischen Phasen kommunikativ und kreativ sind und die Menschen um sich herum begeistern und faszinieren können. Eine Angehörige sagte mir, dass ihr kranker Mann ihr in seinen manischen Phasen am liebsten sei, er sei dann so vergnügt und unternehmungslustig. Das erlebe ich bei Lena nicht. Sie ist schlecht gelaunt, aggressiv, unglaublich schnell wütend gegen alles und jeden und beschimpft mich auf eine Art, die ich mir bei der liebenswürdigen Lena nie hatte vorstellen können. Es dauert Jahre, bis ich erfahre, dass man in diesen Fällen von einer dysphorischen Manie spricht, in der die Menschen vorwiegend gereizt und aggressiv sind. Auch darauf könnten uns Ärzte vorbereiten – wie lange habe ich darüber gegrübelt, was ich alles falsch gemacht habe und weshalb meine Tochter mich nun derart hassen musste.
    Hat Lena nun eine bipolare Störung? Ist es gar keine Schizophrenie, wie 1996 so schnell diagnostiziert wurde? Die Diagnosen ändern sich, je nachdem, mit wem man wann spricht. Wenige Jahre später heißt es, sie leide an einer schizo-affektiven oder an einer bipolaren Störung. Andere bleiben bei der Diagnose Schizophrenie.
    Welches Etikett Lenas psychische Erkrankung auch haben mag, ihr Verhalten ist für mich nur schwer auszuhalten. Ich balanciere auf rohen Eiern, bewege mich in einem kommunikativen Eiertanz. Nie ist voraussehbar, in welcher Stimmung ich Lena antreffen werde. Nie weiß ich, welche Äußerung von mir oder welche Situation in der Umwelt einen Wutausbruch hervorrufen wird. Noch mehr, als ich es ohnehin immer schon getan habe, achte ich darauf, was ich sage, wie ich es sage und wie ich auf ihr Verhalten reagiere. Nur alles vermeiden, was wieder einen Wutausbruch hervorrufen könnte. Ich habe schon seit Kinderzeiten Angst vor heftigen Gefühlsausbrüchen, sie verursachen mir physisches Unbehagen. Mein Magen zieht sich zusammen, wenn ich auch nur befürchten muss, dass es wieder zu einer atmosphärischen Entladung kommt.

Wie dein Vater!
    Ich ertappe mich dabei, dass ich Lena vorwerfe, sie sei wie ihr Vater. Und es stimmt: Auch Karim konnte ohne (für mich) erkennbaren Grund Wutausbrüche bekommen. Immer wieder denke ich über seine Verhaltensweisen nach, die zu meiner Trennung von ihm geführt haben. Er warf mir schlimme Dinge an den Kopf. Einen Tag später bat er mich um Verzeihung. Er beschimpfte Kassiererinnen, von denen er sich kritisch gemustert fühlte, als Rassistinnen. Wir bekamen Hausverbot. Er brüllte, weil eines der Kinder eine Birne statt einer Banane vom Obstteller nahm. Er reagierte extrem empfindlich auf Geräusche. Das Klappern des Schlüssels am Gürtel machte ihn »wahnsinnig«. Er hielt sich den Kopf und konnte es nicht aushalten.
    Für mich brach jedes Mal eine Welt zusammen. Zwischen diesen Ausbrüchen war Karim immer ein liebevoller Vater und Ehemann. Er war es, der wirklich eine symbiotische Beziehung zu Lena hatte. Er stand nachts auf, fütterte sie, trug sie durch die Wohnung, er spielte mit ihr, er kochte wunderbar für sie und uns alle. Als sie fünf Jahre alt war, fing er an, mit ihr Schach zu

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