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Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Titel: Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Berg-Peer
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jemand sehr bedrohlich wird, dann kommt ein Arzt und verordnet eine stärkere Medikation oder sogar eine Fixierung. Damit können die Schwestern und Pfleger auch drohen, damit der Patient Vernunft annimmt. Auf jeder anderen Station dürfen Patienten klingeln, wenn sie etwas brauchen. Wenn sie nachts eine Tablette wollen, wenn der Verband juckt, wenn sie nicht schlafen können oder wenn die Bettwäsche gewechselt werden muss. Dabei sind psychisch Kranke weitaus mehr auf Geduld, Freundlichkeit und Verständnis angewiesen als jeder andere Patient. Auch in Lenas Krankenhaus existiert ein Knopf im Zimmer. Aber dass ein Psychiatriepatient klingelt, ist kaum denkbar. Psychiatriepatienten dürfen nichts fordern, sie müssen warten, und das oft sehr lange.
    Wenn ein Patient dann »böse« wird, ist das ein Symptom. Und nicht etwa eine Reaktion darauf, dass der Pfleger ihn eine Viertelstunde vor der geschlossenen Tür warten lässt, wenn er nach draußen darf und will, um sich Zigaretten zu kaufen. Ich kann es gar nicht mit ansehen, wie demütig die psychisch Kranken sich der Tür des Schwesternzimmers nähern. Sie sind ausgeliefert. Jede berechtigte Verärgerung wird psychologisch gedeutet. Es wird nicht danach gefragt, wie ein Pfleger oder eine Schwester sich vorher verhalten hat. Es ist der Patient, der ausagiert und nicht kooperativ ist.

    Lena und ich kennen vier Krankenhäuser und sechs Stationen von vielen Krankenhausaufenthalten. Selten haben wir eine Schwester oder einen Pfleger erlebt, die sich für längere Zeit im Aufenthaltsraum mit den Patienten unterhielten. Und ebenso selten waren sie auch für mich zu sprechen und haben mir meine Fragen beantwortet oder gar meine Aufregung besänftigt.
    Ich frage mich, wie es Patienten geht, die keine Angehörigen oder Freunde haben, die sie im Krankenhaus besuchen und sie ein wenig unterstützen können. Wenn niemand da ist, der als Fürsprecher gegenüber Ärzten und Pflegepersonal auftritt. Ich bin sicher, dass der Dienst auf einer psychiatrischen Station für das Pflegepersonal hart sein kann. Aber wer dem nicht gewachsen ist, sollte meiner Meinung nach nicht dort arbeiten, wo starke Nerven und gute zwischenmenschliche Fähigkeiten besonders wichtig sind. Trotz meiner Kritik sehe ich, dass auch die Schwestern und Pfleger in der Psychiatrie mehr unterstützt werden sollten. Vieles ließe sich verbessern, wenn deutlich mehr Personal zur Verfügung stünde und die Schwestern ebenso viel Weiterbildung erhielten, wie das bei Ärzten selbstverständlich ist.

Rauchen schadet der Gesundheit – Schizophrenie aber auch!
    Als Lena zum ersten Mal ins Krankenhaus kam, war der verrauchte Aufenthaltsraum ein heimeliger Ort, an dem die Patienten sich mit Zigaretten und dampfenden Kaffeebechern zusammenfanden. Inzwischen hat die offensive Gesundheitsbewegung eine deutliche Verschlechterung gebracht. Heute müssen sich Patienten bei Wind und Wetter um einen Betonaschenbecher im Freien versammeln und dort bibbernd an ihren Zigaretten ziehen. Natürlich sollen sie nicht rauchen, Rauchen ist ungesund. Wer aber weiß, welche Nebenwirkungen Antipsychotika haben, der versteht, dass nichts – weder Kälte noch eine Lungenentzündung oder die Aussicht auf Krebs – einen psychisch Kranken davon abhalten wird.
    Mit dem Rauchen kämpfen die Patienten gegen die lähmenden Nebenwirkungen der Medikamente an. Patienten auf der Geschlossenen müssen mit dem Rauchen warten, bis eine Schwester Zeit hat, sie nach draußen zu begleiten. Das kann dauern, vor allem wenn es draußen kalt ist, und man sieht den armen Patienten nervös mit kleinen Trippelschritten, die auch eine Nebenwirkung der Medikamente sein können, zwischen dem Schwesternzimmer und der Stationstür hin- und herlaufen. Jeder Gefangene in einer Vollzugsanstalt hat das Anrecht auf eine Stunde Hofgang am Tag. Für Patienten auf einer psychiatrischen Station ist das nicht selbstverständlich. Inzwischen gibt es auf den Stationen wieder einen winzigen, oft unmöblierten Raucherraum, in dem sich die Fenster nur einen Spalt öffnen lassen. Im letzten Krankenhaus von Lena wurde sogar dieser Raum um 24 Uhr geschlossen, und auch der Fernsehraum war nicht durchgehend geöffnet. Was macht dann die psychisch kranke Raucherin, die unter schweren Schlafstörungen leidet und sich nachts beruhigen will?

2001
    Kommunikativer Eiertanz
    Jeder schwere Rückfall erschüttert Lenas zartes, neu aufkeimendes Selbstbewusstsein. Auch für mich zerbricht jedes Mal

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