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Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)

Titel: Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Berg-Peer
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verschlafen hat. Es dauert dann noch zwei Stunden, bis sie bei mir erscheint – meistens mit schlechter Laune oder einfach sehr müde. Ich versuche ihr dann Aufgaben zu übertragen, die sie trotz Müdigkeit erledigen kann. Alle zehn Minuten muss sie auf den Balkon, um eine Zigarette zu rauchen. Oft merke ich erst nach einer Weile, dass sie auf dem Sofa liegt und tief schläft. Natürlich könnte ich sie nach Hause schicken und ihr sagen, dass sie gar nicht mehr kommen soll. Für mich wäre das deutlich weniger anstrengend. Aber sie muss ihre Ausbildung korrekt absolvieren, in der Berufsschule ein Arbeitstagebuch führen und für die IHK-Prüfung vorbereitet sein. Es ist für uns beide nicht leicht. Ich habe das Gefühl, dass ich Lena wie eine zentnerschwere Last vor mir herschiebe. Oder sie hinter mir herziehen muss, immer mit dem Ziel vor Augen, dass im Juni 2006 die Prüfung ansteht. Weiter mag ich nicht denken. Wir müssen es einfach schaffen.
    Natürlich behalten die Warner recht. Es werden drei extrem anstrengende Jahre, auch für Lena. Sie hat große Stärken, wenn es darum geht, mit Klienten Termine abzusprechen oder mit der Personalabteilung ein Seminar vorzubereiten. Oft wird meine liebenswürdige Mitarbeiterin gelobt. Aber natürlich haben wir unterschiedliche Vorstellungen von vielen Aufgaben, und dadurch entsteht Stress. Sie kommt oft zu spät, und ich bin hin- und hergerissen zwischen Rücksicht auf ihre Krankheit und meiner Rolle als Arbeitgeberin. Die größte Schwierigkeit für Lena ist allerdings der Besuch der Berufsschule. Lena ist älter als die meisten Jugendlichen, hat aber schon lange keine Schulerfahrung mehr. Sie tut sich schwer damit, den Lehrern und Schülern zu erklären, warum sie mit 23 in der Berufsschule sitzt, während die anderen Schüler 16 bis 18 Jahre alt sind. Die Neuroleptika, die sie weiterhin nehmen muss, machen sie müde, so dass sie in der Schule oft einschläft. Auf einem Elternabend habe ich Mühe, aufgebrachte Lehrerinnen zu beruhigen. Ich erzähle ihnen, dass Lena an einer Stoffwechselerkrankung leide und Tabletten dagegen nehmen müsse, die sehr müde machen. Daher habe Lena auch dermaßen zugenommen. Zu dieser Zeit wiegt sie über 100 Kilo, worunter sie sehr leidet.
    Mir wird oft gesagt, dass Lena die Schule so engagiert durchgehalten hat, weil ich so viel für sie getan habe. Es stimmt, ich habe sie unterstützt. Aber viele andere Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung – und auch viele ohne diese Erfahrung – hätten nicht so durchgehalten, wie Lena es getan hat. Lena hat nicht ein einziges Mal davon gesprochen, die Schule abzubrechen. Trotz aller Rückschläge, Krankenhausaufenthalte, abfälligen Kommentare ihrer Mitschüler oder der Lehrer, trotz Tränen und Kämpfen zwischen ihr und mir, hat sie immer an ihrem Vorhaben festgehalten, einen vernünftigen Abschluss zu machen. Darüber bin ich froh.
    Lena nimmt wieder ab. Ich weiß, was das bedeutet: Sie hat ihre Tabletten abgesetzt. Ich bin besorgt, aber auch verärgert, dass sie es nicht durchhält, ihre Tabletten regelmäßig zu nehmen. Wer allerdings die Nebenwirkungen dieser Neuroleptika kennt, wird mehr Verständnis dafür aufbringen. Neuroleptika oder Antipsychotika bedeuten für viele Patienten eine extreme Gewichtszunahme, Libidoverlust oder Impotenz. Vor allem aber bewirken sie einen erheblichen Verlust an Lebensfreude. Besonders belastend im Alltag ist aber die extreme Müdigkeit, die durch die Tabletten bewirkt wird. Seitdem ich mir dessen bewusst bin, wundere ich mich nicht mehr, dass die Patienten eine Zigarette nach der anderen rauchen, um gegen dieses lähmende Gefühl anzukämpfen. Tasse um Tasse Kaffee oder auch Cola, in die noch Pulverkaffee geschüttet wird, sind auch die Norm auf psychiatrischen Stationen. Einen schwachen Eindruck der Nebenwirkungen bekomme ich, als mir Betablocker verschrieben werden, weil die plötzlichen Blackouts und das Herzrasen nicht aufhören. Eine Woche lang laufe ich durch einen dicken, dämpfenden Wattenebel, der jeden Schritt, jeden Satz und jede Aktivität zu einer gewaltigen Anstrengung werden lässt. Ich setze die Tabletten sofort wieder ab und kann seither Lena verstehen. Mir hat es nicht geschadet, aber Lena kann ich trotz allem Verständnis nicht empfehlen, ihre Tabletten abzusetzen. Bislang hat genau das immer wieder zu einem neuen Ausbruch der Psychose geführt.

Lena verliebt sich
    Eine Zeitlang höre ich außerhalb der Arbeitszeit wenig von Lena. Dann kommt

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