Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
plötzlich ein vergnügter Anruf von ihr. »Mami, wie geht es dir? Weißt du, ich habe Frank wieder getroffen, du weißt doch, der nette Besitzer von diesem Café, und jetzt bin ich total glücklich. Die letzten Monate habe ich fast die ganze Zeit bei ihm gewohnt.« Sie sprudelt vor Freude und muss mir alles über die wunderbaren Eigenschaften von Frank erzählen. Ich bin überrascht und freue mich vorsichtig. Lena klingt stabil und glücklich. Ich erinnere mich an Frank, den etwas schrägen Cafébesitzer, der immer schon an unseren Tisch kam, wenn ich dort mit Lena saß. Frank ist fast zwanzig Jahre älter als Lena. Wir verabreden uns, und bei Spaghetti und Cola erzählt Lena mir, dass Frank immer schon in sie verliebt gewesen sei. Und dass sie jetzt dauernd bei ihm im Café säße, er habe auch ganz tolle Freunde, die wirklich interessant seien. Lena scheint dort von allen bewundert zu werden. Das tut ihr sichtbar gut. »Und ich helfe ihm jetzt auch mit der Buchhaltung, er ist da ein totaler Chaot. Ich habe erst mal alles geordnet und für den Steuerberater vorbereitet. Er ist mir unheimlich dankbar.« Dann erzählt Lena allerdings, dass er eine Freundin mit Sohn habe, nur sei diese gerade für einige Monate in Italien bei ihrer Familie. Aber er wolle sich sowieso von ihr trennen. Ich wage es nicht, ihre Freude zu trüben, bin aber besorgt. Lena kann große Enttäuschungen und den damit verbundenen Stress nicht verkraften. Aber selbst wenn ich etwas sagen würde – welche verliebte junge Frau würde auf den Rat ihrer Mutter hören?
Es ist ungewohnt für mich, nicht täglich von Lena angerufen zu werden. Oder mich am Sonntag nicht aufraffen zu müssen und etwas mit ihr zu unternehmen, damit sie nicht so alleine ist. Ich beobachte mich dabei, dass ich an Wochenenden etwas ziellos durch meine Wohnung wandere, weil ich nicht weiß, was ich tun soll. Es ist eine merkwürdige Erfahrung, dass auch die Abwesenheit ständiger Störungen und permanenter Anspannung ein Vakuum hinterlassen kann. Es dauert einige Wochen, bis ich mich daran gewöhnt habe und nicht mehr angespannt darauf warte, dass ein Anruf kommt. Ich muss lernen, meine Sorge, wie es Lena wohl geht, abzulegen.
Eines Tages taucht sie schluchzend bei mir auf. Franks Freundin ist zurückgekommen, und Lena kann ihn nur noch im Café sehen oder wenn die Freundin bei der Arbeit ist. Und nein, er hat sich noch nicht von ihr getrennt, er hat Angst vor dem Sohn. Es ist eine große Enttäuschung für Lena. Vier Monate hat sie mit Frank zusammengewohnt und geglaubt, dass diese Beziehung dauerhaft sein würde. Wie alle Frauen in so einer Situation hat sie die Freundin ausgeblendet. Lena wird immer aufgeregter, ihre Anrufe werden immer wirrer. Ich erfahre, dass es nicht nur die Freundin ist, die Lena nicht guttut. Frank konsumiert Substanzen, die für einen Menschen mit psychischer Erkrankung schwere Konsequenzen haben können. Und natürlich hat Lena auch etwas davon probiert. Ihre Anrufe kommen jetzt wieder täglich, sie weint und erzählt mir von den Wirrungen der Beziehung, der drohenden Insolvenz von Franks Café, seiner Freundin und dem aggressiven Sohn. Lena rutscht wieder in eine Krise, und ich bringe sie ins Krankenhaus.
Nur eine somatische Krankheit ist eine gute Krankheit
Acht Jahre Dauerstress, Angst und Sorgen hinterlassen auch bei mir ihre Spuren. Herzrhythmusstörungen und chronische Schmerzen gehören inzwischen zu meinem Leben. »Ich glaube, dass Menschen, die als psychisch krank diagnostiziert werden, ein gebrochenes Herz haben«, lese ich. Auch wenn das nicht wörtlich zu nehmen ist, glaube ich das sofort. Und ich glaube, dass das Herz von Angehörigen ebenfalls Risse bekommen kann. Niemand kann sich erklären, woher meine plötzlichen Herzrhythmusstörungen kommen, die Ärzte loben mein gesundes Herz. Auf meine Frage nach den Ursachen antwortet der junge Arzt. »Könnte es sein, dass Sie in den vergangenen Jahren etwas Stress hatten?«, fragt er. Das könnte sein.
Überrascht stelle ich bei mir fest, dass ich angesichts meiner Erkrankungen eine gewisse Genugtuung empfinde. Endlich wird sichtbar, dass alles zu viel für mich ist. Endlich darf ich ein wenig jammern, endlich werde ich – ein bisschen – bemitleidet. Das tut mir gut. Auch meine Mutter konnte offener über ihre Brustkrebserkrankung als über ihre Depression sprechen. Endlich wurde sie angerufen, gefragt, wie es ihr geht. Sie unterhielt sich am Telefon über die Diagnose, Therapien und
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