Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
Und wer soll da meine T-Shirts im Hotel waschen? Und außerdem kann ich wohl selbst entscheiden, was ich mitnehme. Ich trage meine rote Reisetasche ja auch selbst.«
»Wie willst du denn in die rote Reisetasche 54 T-Shirts plus drei Jeans …«
»Wieso drei Jeans? Das reicht doch nie. Ich muss mindestens vier Jeans und die drei schwarzen Hosen mitnehmen, die ich in Griechenland gekauft habe. Und außerdem brauche ich zweimal Turnschuhe, dreimal Sandalen und dann zweimal Flipflops und …«
»Aber Lena, du hast doch versprochen, dass du mir beim Koffertragen hilfst, und außerdem waschen die in Indien alles, und deshalb nehme ich ganz wenig mit, du weißt doch, mein Rücken …« Wir streiten bis zum letzten Tag und freuen uns auf Indien.
Am 8. Oktober 2008 kommen Lena und ich aufgeregt am Flughafen an. Zum zehnten Mal überprüfe ich, ob ich einen doppelten Ausdruck aller Flugdaten, Hotelbuchungen, Kopien von Pässen und Versicherungsunterlagen dabeihabe. Wo ist der USB-Stick, auf dem ich alle gescannten, wichtigen Papiere gespeichert habe? Endlich können wir unsere Gepäckberge aufgeben – zwei große Schalenkoffer, eine unförmige Reisetasche, eine Umhängetasche mit siebzehn Büchern. Dazu kommen Lenas Rucksack, in dem sich neben einer Videokameraausrüstung noch Zeichenblöcke, Stifte und fünf Bücher befinden und unsere Handtaschen, in die wir alles gequetscht haben, was in unsere Koffer-Rucksack-Sammlung nicht mehr hineinpasste. Zunächst fliegen wir nach Brüssel, von dort geht die Reise mit einer indischen Fluggesellschaft weiter. Auf dem Brüsseler Flughafen beschwert sich eine schlechtgelaunte Lena über meine schwere Büchertasche und ärgert sich über den langen Weg zum Abfluggate nach Chennai. Aber ihre Züge glätten sich, als sie auf dem Weg dorthin die ersten Saris und Turbane sieht – und fröhliche indische Kinder. Junge Frauen mit glänzend schwarzem Haar in wunderschönen bunten Saris und Goldschmuck an Armen, Händen und Ohren. Die Mütter ebenfalls in Saris, darüber unförmige beigefarbene Strickjacken, das Haar in dicken Knoten mit bereits angegrautem Mittelscheitel und an den Füßen offene Sandalen mit Stricksocken. Die Männer in eleganten Hemden und mit dicken goldenen Armbanduhren, an den Füßen ebenfalls Sandalen, aber ohne Socken.
Uns geht es gut, jetzt hat die Reise wirklich begonnen! Erwartungsvoll steigen wir in die Maschine der Jet Airways und werden dort von freundlichen und bildschönen Flugbegleitern und Flugbegleiterinnen begrüßt. Lena blüht auf, während sie die Speisekarte studiert. »Wir nehmen keinesfalls vegetarisch, nicht? Und auch keinesfalls continental!« Nein, nehmen wir nicht, ab jetzt tauchen wir vollständig in den indischen Kulturkreis ein.
Wir starten pünktlich, und ich beobachte interessiert die indischen Familien, die sich für den langen Flug strategisch geschickt auf den vielen leeren Sitzen verteilen. Umgehend streifen alle ihre Sandalen ab und ziehen dicke Flugzeug-Socken über. Wie es auch betagte und umfangreiche Inderinnen schaffen, ihre Füße graziös auf dem Sitz unter sich zu falten, ist mir ein Rätsel. Ich bekomme schon beim Zusehen einen Krampf.
Lena weiß intuitiv, wie man den Bildschirm aktiviert und Musik hören, Filme sehen, News lesen oder E-Mails schreiben kann. Ich weiß zwar nicht, wie sie es schafft, gleichzeitig die Kopfhörer des Flugzeugs und die ihres Handys zu benutzen, aber sie kann das. Alles ist, wie wir es uns erhofft haben: Das Essen ist köstlich, die vier Filme sind unterhaltsam, und schlafen kann ich auch. Es gibt eine kurze Missstimmung, als Lena plötzlich aufwacht. Ein dunkler Kopf mit abstehenden Haaren und wirrem Gesichtsausdruck taucht aus einem Wust von Decken (sie brauchte zwei), Kissen, Kopfhörern und Handykabeln auf, wobei ein letzter Colarest über Sitz und Decke fließt. »Ich habe Hunger!«, tönt es laut und ärgerlich, wie das bei Menschen ist, die versuchen, sich trotz Kopfhörern im Ohr mit ihrer Umgebung zu verständigen. Es sind ja auch schon zwei Stunden seit dem Mittagessen vergangen. »Wir bekommen später etwas«, versuche ich sie zu beschwichtigen.
»Nein, hier steht …«, der Kopf taucht auf der Suche nach der Speisekarte unter das Gewirr von Decken, Kissen, Kabeln und Cola. »Wo ist die, die hatte ich dir gegeben.«
»Nein, ich hatte meine eigene …«
»Das stimmt nicht, vorhin habe ich dir gezeigt, dass es Chicken biryani gibt und da …« Sie bekommt meine Karte und
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