Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
passiert ist und wie viel Geld Lena tatsächlich ausgegeben hat. Als Lena wiederkommt, konfrontiert die Gutachterin sie mit meinen Informationen. Lena wirft mir einen hasserfüllten Blick zu. Wütend brüllt sie, dass ich sie entmündigen lassen wolle und dass ich total übertreibe. Andere Freundinnen hätten auch Schulden und niemand würde deswegen zum Gericht gehen. Aber ihre beschissene Mutter fange an zu heulen, um die Gutachterin zu beeindrucken. Ich versuche mich unsichtbar zu machen und die irritierten bis bösen Blicke der anderen Gäste zu ignorieren. Immerhin lernt die Psychiaterin durch Lenas Ausbruch eine andere Seite kennen. Entsprechend verfasst sie das Gutachten, und vor Gericht bekommt Lena eine Betreuerin, die sich künftig um ihre Finanzen und Mietangelegenheiten kümmern wird. Lena tobt und giftet mich telefonisch mit den übelsten Beschuldigungen an. Bis heute hat sie es mir nicht verziehen, dass ich sie habe »entmündigen« lassen, wie sie es immer noch nennt. Mir geht es nach dem Gespräch und nach Lenas Ausbrüchen monatelang schlecht. Ich verkrieche mich, heule und frage mich, wie ich das alles weiter ertragen soll. Es ist furchtbar, seinem Kind so etwas anzutun, auch wenn ich weiß, dass es nicht anders geht.
Selbsthilfe hilft!
Es hat Jahre gedauert, bis ich vom ApK gehört habe. Alle ehrenamtlichen Beraterinnen und Berater des Verbands haben selbst Erfahrung mit einem kranken Kind oder Partner. Alle sind selbst belastet und permanent in Sorge um ihren Angehörigen. Aber sie bieten praktische und emotionale Hilfe für Angehörige, die noch überwältigt sind von dem, was ihr Leben erschüttert hat. Und die sich ebenfalls erfolglos um Hilfe und Aufklärung durch Ärzte und Therapeuten bemüht haben. Wenn ich Fragen habe oder völlig verzweifelt bin, kann ich vorbeikommen oder anrufen. Mir wird zugehört – endlich versteht jemand meine Situation, meine Angst und Unsicherheit. Ich bekomme praktische Tipps und die Ermutigung, auch an mich zu denken. Dort darf ich Frustration und Wut zeigen. Ich darf weinen. Manchmal können wir sogar zusammen lachen über die schlimmen, komischen, verrückten Dinge, mit denen wir konfrontiert sind. Der ApK wurde von Eltern gegründet, die sich, ähnlich wie ich, plötzlich in einer ausweglosen Situation mit ihren erkrankten Kindern befanden. Niemand informierte oder beriet sie, die Ärzte sprachen selten mit ihnen, und sie erfuhren kaum von anderen, die ein ähnliches Schicksal hatten. Heute gibt es in jedem Bundesland einen Angehörigenverband, an den man sich wenden kann. Der Bundesverband der Angehörigen, BApK, hat eine informative Webseite, gibt Broschüren heraus, veranstaltet Tagungen und ist inzwischen auch ein Gesprächspartner der Politik. Seit einigen Jahren existiert eine bundesweite telefonische Beratungsstelle, SeeleFon, bei der man sich jederzeit informieren lassen kann. Es ist schon einiges erreicht. Heute weisen manche Ärzte frühzeitig auf den Verband hin, und an vielen Kliniken gibt es Angehörigengruppen, die von einem Mitglied des ApK geleitet werden. Dennoch erlebe ich, dass viele Angehörige erst nach Jahren von diesem oder anderen Beratungsangeboten hören. Ich würde mir wünschen, dass es außerdem mehr Gruppen für Angehörige gibt, an denen Menschen mit Psychoseerfahrung beteiligt sind. Aus Gesprächen mit ihnen habe ich viel gelernt. Vor allem aber haben sie mir Hoffnung gemacht: Wenn ich die engagierten, kreativen und auch heiteren Menschen bei selbstorganisierten Veranstaltungen erlebe, kann ich mir immer vorstellen, dass auch Lena eines Tages wieder ein gutes Leben führen kann und wird. Ich habe von ihnen gelernt, nicht immer ängstlich auf die Zukunft zu hoffen, sondern mich an jedem guten Tag für Lena und für mich zu freuen. Auch meine Aufgeregtheit bei jeder neuen Krise kann ich nun in einem anderen Licht sehen. »Lassen Sie uns doch unsere Krisen«, sagte ein junger Mann nach einem Vortrag zu mir. »Wir werden schon damit fertig. Wenn Mütter aufgeregt reagieren, macht es das für uns noch schwieriger.«
Sturz in den Müll
Eines Abends komme ich zu Lena und will sie ermuntern, gemeinsam mit mir ihre Wohnung aufzuräumen und zu putzen. Nach dem Büro fahre ich mit Reinigungsmitteln, Eimer und Staubsauger zu ihr. Lena wird schon nach wenigen Minuten gemeinsamen Hantierens müde und muss rauchen. Ich sammle den Müll vom Fußboden auf, putze, sortiere schmutzige Wäsche und fülle Mülltüte um Mülltüte. Auch zwei
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